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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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während die Bewohner, ein älteres Ehepaar, mit Verwandten und Freunden im Hotel Randolph Silberhochzeit gefeiert hatten. Die Eindringlinge hatten so gut wie keine Spuren hinterlassen – keine polizeitechnisch relevanten Spuren, um genau zu sein; einer von ihnen hatte nämlich auf den Teppich gepinkelt. Die Männer von der Spurensicherung waren nicht gerade entzückt gewesen. Die Fingerabdrücke – sofern die Einbrecher nicht überhaupt Handschuhe getragen hatten – befanden sich offenbar alle auf den gestohlenen Gegenständen und waren mit ihnen verschwunden. Und selbst die Annahme, daß es sich um zwei Täter handelte, stützte sich im Grunde genommen nur auf die recht vage Aussage einer Nachbarin, die am Tag zuvor zwei Jugendliche bemerkt haben wollte, die verdächtig langsam die Straße hinuntergeschlendert seien. Walters blätterte seufzend in dem dünnen Aktenordner. Was sollte er mit diesem mageren Material nun anfangen. Ein ungelöster Fall mehr, es sei denn, man erwischte die Täter irgendwann in flagranti und es käme zu einem großen Aufwasch, bei dem sie auch frühere Delikte gestanden. Unter diesen Umständen war es kein Wunder, daß er für jede Abwechslung dankbar war, und so blickte er erfreut auf, als die Tür sich öffnete und Lewis ins Zimmer trat.
    »Wollen Sie zum neuen Super, Sarge?«
    »Nein, zu Ihnen.«
    »Ist Ihr Chef jetzt sauer, daß Bell den Posten gekriegt hat?«
    »Morse sauer? Nee, glaube ich nicht. Als ich ihn eben gesehen habe, sah er aus, als habe er im Lotto gewonnen.«
    »Was kann ich denn für Sie tun, Sarge?«
    »Morse sagt, Sie hätten bei den Ermittlungen im Fall Scott Nachforschungen über ihren früheren Ehemann angestellt und die Zimmerwirtin ausfindig gemacht, bei der er wohnte, bevor er durch den Unfall ums Leben kam.«
    »Ja. das stimmt.«
    »Wissen Sie noch die Adresse?«
    Walters nickte.
    »Na, dann her damit.«
    »Wollen Sie noch mal zu ihr?«
    »Ja.«
    »Aber die weiß bestimmt nichts, was uns interessieren könnte.«
    »Da ist Morse anderer Meinung.«
     
    Gegen Mittag, nachdem er selbst mit der Zimmerwirtin gesprochen und im Archiv des Präsidiums die Unfallakten studiert hatte, hatte sich Lewis, wie Morse ihm aufgetragen hatte, ein genaues Bild verschafft, fühlte sich aber trotzdem frustriert. Denn Morse, dem es nicht im Traum eingefallen wäre, sich einer so mühsamen Kleinarbeit zu unterziehen, hatte ihm bereits vorher gesagt, was er herausfinden würde: daß nämlich der zweite Beteiligte an dem Unfall, bei dem Anne Scotts früherer Ehemann ums Leben gekommen war, der Fahrer des entgegenkommenden Wagens, niemand anderer als Michael Murdoch gewesen war.
     
    Wieder zurück im Büro, berichtete Lewis dem Chief Inspector, daß seine Vermutung hinsichtlich der Verwicklung Michael Murdochs in den Unfall von Anne Scotts früherem Mann sich als richtig erwiesen habe.
    Doch anstatt, wie Lewis erwartet hatte, eine gewisse Befriedigung zu äußern, fragte Morse nur übellaunig: »Können Sie mir erklären, warum dieser Schwachkopf Walters die Adresse der Wirtin nicht in seinen Bericht aufgenommen hat, so daß wir erst hinter ihm herrennen müssen?«
    »Wahrscheinlich hat er gedacht, sie sei nicht so wichtig.«
    »Gedacht! Daß ich nicht lache. Das würde ja voraussetzen, daß er Verstand besitzt.«
    »Aber er hat doch gerade erst angefangen, Sir, und …«
    »Und Sie, Sergeant? Hätten Sie mit Ihrer langjährigen Erfahrung es denn für notwendig erachtet, die Adresse festzuhalten?«
    »Nein, ich glaube nicht, Sir«, sagte Lewis, über seine eigene Kühnheit erstaunt. »Aber bislang haben Sie meinem Urteil darüber, was wichtig sei und was nicht, eigentlich immer vertraut.«
    »Dann habe ich Sie wohl überschätzt«, sagte Morse. Der scharfe Ton ließ Lewis aufhorchen. Das war mehr als bloß schlechte Laune. Morse war wütend auf ihn, er mußte irgend etwas verbockt haben. »Ich hatte immer angenommen, Sergeant«, fuhr Morse in demselben unangenehmen Ton fort, »daß es die vornehmste Pflicht eines Kriminalbeamten sei, sich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Kräften – auch und gerade wenn diese Kräfte vielleicht nur schwach sind – darum zu bemühen, sämtliche Fakten, auf die er im Laufe seiner Ermittlungen stößt, korrekt und vollständig wiederzugeben. Und zwar auch die, die ihm unerheblich erscheinen. Darüber zu befinden ist nicht an ihm.«
    Morses Stimme war kühl und kontrolliert, er sprach mit der überpräzisen Intonation eines Schulmeisters, der

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