Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
In seinem Kopf hatte sich etwas verhärtet. Was zuvor eine vage Antipathie gegenüber Ignacio Ortega gewesen war, hatte Form angenommen, und nun war er entschlossen, diesen Kinderschänder so lange wie möglich wegzusperren. Er genoss seine Wut – genau wie Ferrera, die in ihrer ersten Zeit als Polizistin in Cádiz in der Hoffnung durch die Straßen gestreift war, die beiden Kerle zu finden, die sie vergewaltigt hatten.
Beim Duschen dachte er an Ignacio Ortega. Der Mann war äußerst gerissen. All die glatten Lügen, die er ihm bei ihrem ersten Treffen aufgetischt hatte. Diese routinierte Präsentation von Halbwahrheiten. Er fragte sich, ob am Anfang Ignacios Neid auf seinen Bruder gestanden hatte. »Ich bin bloß Elektriker und er ein berühmter Schauspieler.« Von zwei Männern, die einer brutalen Kindheit entronnen sind, wird einer ein gefeierter Schauspieler, der in seine Rollen flüchtet, während der andere im Schutz seiner Mittelmäßigkeit voller Hass unschuldige Kinder schändet. Ergab das in Ignacios Kopf eine abartige Gerechtigkeit?
Beim Anziehen fiel ihm der Gedanke wieder ein, der ihm gekommen war, als er mit Ramírez über die Namen in Vegas Adressbuch gesprochen hatte. Es gab nur einen Ortega darin, und zwar ohne den Anfangsbuchstaben des Vornamens. Falcón fuhr in die Jefatura und holte das Adressbuch aus der Asservatenkammer. Hinter dem Namen Ortega stand Ignacios Handynummer. Er rief Carlos Vázquez an.
»Wer installiert für Vega Construcciones die Lüftungsanlagen?«
»Das wird jeweils ausgeschrieben«, sagte Vázquez. »Es gibt vier oder fünf Firmen, die um die Aufträge konkurrieren.«
»Erhält eine bestimmte Firma mehr Aufträge als andere?«
»Ich würde schätzen, dass etwa siebzig Prozent der Arbeiten von AAC übernommen werden, Aire Accondicionada de Sevilla. Die Firma wird von einem gewissen Ignacio Ortega geleitet, der nur dann zu teure Angebote abgibt, wenn er den Auftrag nicht übernehmen kann.«
Er rief bei Vega Construcciones an und fragte nach Marty Krugman, der immer noch nicht im Büro war. Falcón erreichte ihn auf seinem Handy. Den Geräuschen nach zu urteilen, steckte Krugman im dichten Verkehr.
»Ich soll doch nicht mit Ihnen reden, Inspector Jefe, wissen Sie nicht mehr?«, sagte er munter. »Ich habe noch kein Wort von unseren kalten Freunden aus dem Osten gehört.«
»Ich habe nur eine Frage zu den russischen Projekten: Wen haben Sie zu einem Angebot für die Installation der Lüftungsanlagen aufgefordert?«
»Ich selbst niemanden«, sagte Krugman. »Rafael hat mir gesagt, ich solle eine Firma namens AAC beauftragen.«
»Es hat keine Ausschreibung gegeben?«
»Er sagte, der Kunde hätte bereits sein Einverständnis gegeben.«
»Was steckt für Sie dahinter?«
»Normalerweise bedeutet es, dass man AAC einen Gefallen schuldet, weil sie einen anderen Auftrag extrem billig durchgeführt haben.«
»Kennen Sie Ignacio Ortega, den Inspektor von AAC?«
»Klar, ich habe ihn des Öfteren getroffen. Er arbeitet häufig für die Firma. Ein ziemlich abgebrühter Typ«, sagte Krugman. »Ist er mit Pablo verwandt?«
»Sie sind Brüder.«
»Das sieht man ihnen gar nicht an.«
»Was können Sie mir über die Beziehung zwischen Ignacio und Señor Vega sagen?«
»Gar nichts.«
»Waren Sie befreundet?«
»Wie schon gesagt, Inspector Jefe…«, erwiderte Krugman, bevor der schwächer werdende Empfang den Rest des Satzes schluckte.
»Können wir uns nicht von Angesicht zu Angesicht darüber unterhalten?«, fragte Falcón, der daran denken musste, was Guzmán ihm berichtet hatte.
»Da erzähle ich Ihnen auch nichts anderes«, sagte Krugman. »Außerdem bin ich gerade beschäftigt.«
»Wo sind Sie? Ich komme zu Ihnen. Wir trinken ein Bier vor dem Abendessen.«
»Mein Gott, Sie gehen aber ran, Inspector Jefe. Was ist denn los?«
»Ich will bloß reden«, rief Falcón bei erneut schwächer werdendem Empfang.
»Ich sagte Ihnen doch, dass die Russen noch keinen Kontakt aufgenommen haben.«
»Es geht nicht um die Russen.«
»Worum geht es denn ?«
»Das kann ich nicht sagen… es geht mehr um die Amerikaner.«
»Manchmal vermisse ich den Kalten Krieg richtig«, sagte Krugman. »Die russische Mafia war viel effektiver, als sie noch aus Kommunisten bestand. Interessant, nicht?«
Der Empfang brach endgültig zusammen. Falcón wollte gerade auf die Wahlwiederholung drücken, als Ramírez seinen Kopf durch die Tür steckte. Falcón brachte ihn bezüglich Ignacio und
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