Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
an und hielt sie Salvador hin. Er beugte sich vor und legte die Stirn auf die Tischkante. Sein Rücken bebte. Nach einer Weile richtete er sich wieder auf. Tränen strömten über sein Gesicht, und er wischte sie weg. Ferrera gab ihm die Zigarette, er nahm einen Zug und atmete tief ein.
»Ich frage Sie noch einmal: Hatten Sie eine gute Beziehung zu Ihrem Onkel Pablo?«
Diesmal nickte Salvador.
»Wie oft haben Sie ihn gesehen?«
»Ein paar Mal im Monat. Wir hatten eine Vereinbarung. Er hat mir das Geld für Heroin gegeben, solange ich meine Sucht einigermaßen im Griff hatte. Er wollte nicht, dass ich stehle und wieder im Gefängnis lande.«
»Wie lange ging das schon so?«
»Drei Jahre nach meiner Entlassung – bis sie mich wieder eingesperrt haben.«
»Sie wurden wegen Drogenhandels verurteilt, richtig?«
»Ja, aber ich habe nicht gedealt. Man hat mich bloß mit zu viel Stoff erwischt. Deswegen habe ich auch nur vier Jahre bekommen.«
»War Pablo enttäuscht von Ihnen?«
»Ärgerlich war er nur ein einziges Mal, als ich etwas aus seiner Sammlung gestohlen hatte«, sagte Salvador. »Es war bloß eine Zeichnung, ein paar Striche auf Papier. Ich habe Stoff im Gegenwert von zwanzigtausend dafür bekommen. Pablo hat gesagt, das Bild wäre dreihunderttausend wert gewesen.«
»War er nicht wütend?«
»Er war absolut außer sich. Aber er hat mich nie geschlagen, müssen Sie wissen, und nach den Regeln meines Vaters hätte er durchaus das Recht gehabt, mir bei lebendigem Leib die Haut abzuziehen.«
»Und danach haben Sie die Vereinbarung getroffen?«
»Nachdem er sich beruhigt und die Zeichnung zurückgekauft hatte.«
»Wie oft haben Sie Sebastián in dieser Zeit getroffen?«
»Als Sebastián an der Bellas Artes angefangen hat, noch ziemlich oft. Dann habe ich ihn eine Zeit lang gar nicht gesehen, bis ich gehört habe, dass Pablo ihm eine kleine Wohnung in der Calle Jesus del Gran Poder gekauft hatte. Dorthin bin ich oft gegangen, um nicht auf der Straße zu drücken. Als Pablo davon erfahren hat, hat er unserer Vereinbarung eine weitere Klausel hinzugefügt. Ich musste ihm versprechen, Sebastián nicht zu treffen, bis ich clean war. Pablo meinte, er wäre ohnehin sehr labil, und wollte nicht, dass er auch noch Drogenprobleme bekam.«
»Haben Sie sich daran gehalten?«
»Sebastián hat sich nie für Drogen interessiert. Er hatte andere Strategien, die Realität zu verdrängen.«
»Zum Beispiel?«
»Er nannte es einen ›Rückzug in die Schönheit und Unschuld‹. In seiner Wohnung gab es ein Zimmer, das er mit einer Schalldämmung versehen und abgedunkelt hatte. Dort habe ich immer gedrückt. An die Decke hatte er leuchtende Punkte gemalt. Es fühlte sich an, als wäre man in eine Nacht aus Samt gehüllt. Dort hat er gelegen, seine Musik und Kassetten gehört, die er zuvor besprochen hat, zum Beispiel mit Gedichten.«
»Wann hat er sich diesen Raum eingerichtet?«
»Als Pablo ihm die Wohnung gekauft hatte… vor fünf oder sechs Jahren.«
»Warum hat er ihm die Wohnung gekauft?«
»Sie hatten Probleme, zusammenzuleben. Sie haben sich immer gestritten. Und dann haben sie ganz aufgehört, miteinander zu reden.«
»Hat Pablo Sebastián je geschlagen?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Was ist mit Ihrem Vater?«
Schweigen.
»Er hat immerhin in Ihrer Familie gelebt«, sagte Falcón.
Salvador schien erneut in Atemnot zu geraten. Er begann zu hyperventilieren, bis Ferrera sich hinter ihn stellte und beruhigend die Hände auf seine Schultern legte.
»Möchten Sie Sebastián gern helfen?«, fragte Falcón.
Salvador nickte.
»Hier drinnen gibt es nichts, wofür man sich schämen müsste«, sagte Falcón. »Alles, was Sie sagen, dient nur dazu, Sebastián zu helfen.«
»Aber hier drinnen gibt es etwas, wofür man sich schämen muss«, sagte er unvermittelt erregt und klopfte sich auf die Brust.
»Es geht nicht darum, dich zu verurteilen. Hier geht es nicht um Moral«, sagte Ferrera. »Wenn wir jung sind, geschehen uns Dinge, die wir nicht…«
»Was ist Ihnen denn passiert?«, fragte Salvador böse und schüttelte ihre Hände ab. »Was ist Ihnen denn schon passiert, verdammt noch mal? Sie sind eine Scheißpolizistin. Ihnen ist gar nichts passiert. Sie haben keine Ahnung davon, was da draußen los ist. Sie kommen aus der sicheren Welt. Ich kann es riechen – an Ihrer Seife. Sie verlassen Ihre sichere Welt und streifen bloß die Oberfläche der Dinge, mit denen wir leben, fangen Leute wegen ihrer
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