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Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Titel: Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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kleinen Vergehen. Sie haben keine Ahnung, wie es auf der anderen Seite ist.«
    Ferrera machte einen Schritt zurück. Zunächst glaubte Falcón, sie wäre schockiert, aber es ging ihr nur darum, Abstand zu gewinnen, ihrer Präsenz Stärke zu vermitteln. Mit ihrem Schweigen sagte sie Salvador etwas, doch er brachte es nicht über sich, sie anzusehen. Die Atmosphäre in dem Verhörzimmer hätte nicht angespannter sein können, wenn sie sich nackt ausgezogen hätte.
    »Du glaubst wegen meines Jobs und meines Aussehens, dass mir nie etwas passiert wäre?«
    »Na los«, provozierte Salvador sie, »erzählen Sie mir, was Ihnen passiert ist, Sie kleine Polizistin.«
    Ferrera schien schweigend mit sich zu ringen.
    »Ich muss dir das nicht erzählen«, sagte sie, »und ich bin auch nicht besonders erpicht darauf, dass mein Vorgesetzter es hört. Aber ich werde es dir erzählen, weil du wissen musst, dass auch anderen, sogar kleinen Polizistinnen, Dinge passieren, die sie beschämen, und man kann trotzdem darüber reden, und die Menschen werden einen nicht verurteilen. Hörst du mir zu, Salvador?«
    Ihre Blicke trafen sich, und er nickte.
    »Bevor ich Polizistin geworden bin, war ich eine Novizin und wollte Nonne werden. So viel weiß auch der Inspector Jefe über mich. Er weiß auch, dass ich einen Mann getroffen habe und schwanger geworden bin. Das bedeutete, dass ich meine Ausbildung zur Nonne aufgegeben und geheiratet habe. Aber es gibt etwas, das er nicht weiß und wofür ich mich sehr schäme, und es wird mir viel abverlangen, es in seiner Gegenwart zu erzählen.«
    Salvador antwortete nicht. Die Stille im Raum vibrierte förmlich. Ferrera holte tief Luft. Falcón war sich nicht sicher, dass er ihre Geschichte hören wollte, doch es war schon zu spät, sie war dazu entschlossen.
    »Ich stamme aus Cádiz, einer Hafenstadt mit ein paar ziemlich rauen Gestalten. Ich wohnte bei meiner Mutter, die nicht wusste, dass ich diesen Mann kennen gelernt hatte. Ich musste den Nonnen erzählen, dass ich mich verliebt hatte, und ich beschloss, vorher den Mann zu treffen, den ich liebte, um mit ihm zu reden. Damals war ich noch Jungfrau, weil ich an die Heiligkeit der Ehe glaubte und sie unberührt eingehen wollte. An jenem Abend wurde ich auf dem Weg zur Wohnung meines Geliebten von zwei Männern überfallen, die mich vergewaltigt haben. Es ging sehr schnell. Binnen zehn Minuten hatten sie mir angetan, was sie tun wollten, und mich komplett besudelt zurückgelassen. Ich bin zur Wohnung meiner Mutter zurückgetaumelt. Sie schlief schon. Ich habe geduscht und bin zitternd und völlig zerstört ins Bett gegangen. Als ich aufwachte, hoffte ich, das Ganze wäre ein böser Traum gewesen, aber mein ganzer Körper tat weh, und ich schämte mich unendlich. Nachdem die Blutergüsse eine Woche später verheilt waren, habe ich mit meinem Geliebten geschlafen. Am Tag darauf habe ich den Nonnen erklärt, dass ich das Kloster verlasse. Bis heute bin ich mir nicht vollkommen sicher, wer der Vater meines ersten Kindes ist.«
    Sie ließ sich erschöpft auf den Stuhl fallen. Salvador wandte den Blick ab und betrachtete die Zigarette in seiner zitternden Hand.
    »Ich sehe meinen Vater nicht mehr, weil ich ihn hasse«, begann er hustend. »Mein Hass auf ihn ist so groß, dass ich ihn umbringen würde, wenn ich ihn sehe. Ich hasse ihn, weil er Vertrauen verraten hat – und nicht irgendein Vertrauen. Er hat das innigste Vertrauen verraten, das es unter den Menschen gibt – das Vertrauen zwischen Eltern und Kind. Er hat mich geschlagen, um mich in ständiger Angst zu halten. Um mich davon abzuhalten, auch nur daran zu denken, irgendjemandem zu erzählen, was er mir antat. Er hat mich geschlagen, weil er wusste, dass sich die Kunde von seinen Prügeln in der Nachbarschaft verbreiten würde, sodass auch alle anderen Kinder vor ihm Angst haben würden. Und wenn sie zu uns kamen, war er so nett zu ihnen, dass sie ihn machen ließen, was immer er wollte, ohne dass sie es je wagten, darüber zu sprechen. Mein Vater hat mich systematisch zerstört, bis ich zwölf war. Dann hat es aufgehört. Ich dachte, ich würde damit klarkommen. Ich dachte, ich könnte meine Kindheit wegkiffen, von ihm loskommen und ein eigenes Leben beginnen. Vielleicht wäre es sogar möglich gewesen. Aber dann hat Onkel Pablo Sebastián in unser Haus gebracht. Und das ist meine Schande. Deswegen bin ich heute so. Weil ich nichts gesagt habe, während mein Vater Sebastián das Gleiche antat,

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