Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Titel: Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
Vom Netzwerk:
Bezug auf den 11. September?«, fragte Falcón. »Sie müssen doch mit ihm darüber gesprochen haben.«
    Maddy verdrehte die Augen.
    »Klar«, sagte Marty. »Wir haben endlos darüber geredet, als politisches Thema. Aber ich verstehe wirklich nicht, was es in diesem Kontext bedeuten soll.«
    »Warum würde man seine Frau umbringen?«, fragte Maddy zur Erleichterung Falcóns, der in diesem Stadium der Ermittlung keine Lust hatte, Martys Theorien zum 11. September anzuhören. »Ich meine, wenn man derartig leidet, sollte man sich unbedingt umbringen, aber doch kein Kind ohne Eltern zurücklassen.«
    »Vielleicht dachte er, Lucía wäre nicht in der Lage, ohne ihn zu überleben«, sagte Marty.
    »Womit er Recht gehabt hätte«, sagte sie.
    »Lassen Sie bei Ihren Ermittlungen immer so viel Spekulation zu, Inspector Jefe?«, fragte Marty.
    »Nein«, antwortete Falcón, »aber die Situation im Haus der Vegas war so rätselhaft, dass ich für alle Möglichkeiten offen bleiben muss, bis ich einen kompletten Bericht der Spurensicherung und den gerichtsmedizinischen Befund bekomme. Außerdem ist die Señor Vega am nächsten stehende Person, seine Frau, ebenfalls tot. Also muss ich mich auf Menschen verlassen, die ihn beiläufig kannten – gesellschaftlich oder geschäftlich.«
    »Lucías Eltern müssten Ihnen helfen können«, sagte Marty. »Sie waren fast jeden Sonntag zum Mittagessen da.«
    »Haben Sie sie je getroffen?«
    »Ich, einmal«, sagte Maddy. »Es waren keine… ähm… besonders kultivierten Menschen. Ich glaube, er war früher Bauer.«
    »Wie lange sind Sie verheiratet?«, fragte Falcón.
    »Zwölf Jahre«, erwiderte sie.
    »Und wie haben Sie sich kennen gelernt?«, wollte er wissen, eine Frage, die er unwillkürlich jedem Paar gestellt hatte, das er im vergangenen Jahr getroffen hatte.
    »Es war in New York«, sagte Marty. »Maddy hat eine Auswahl ihrer Fotografien in einer Galerie ausgestellt, die einer Freundin von mir gehörte. Sie hat uns einander vorgestellt.«
    »Und ich bin nie mehr in meine Wohnung zurückgekehrt«, sagte Maddy.
    »Fotografieren Sie immer noch?«
    »Seit wir die Staaten verlassen haben, hat sie wieder damit angefangen«, übertönte Marty Maddys Nein.
    »Was fotografieren Sie?«
    »Menschen«, sagte sie.
    »Porträts?«
    »Nie.«
    »Sie fotografiert Menschen in ihren unbewussten Momenten«, erklärte Marty.
    »Damit meint er nicht, wenn sie schlafen«, sagte sie mit einem zornigen Aufblitzen in den Augen.
    »Wenn sie nicht wissen, dass eine Kamera auf sie gerichtet ist?«, fragte Falcón.
    »Sie geht noch einen Schritt weiter«, sagte Marty. »Wenn sie glauben, dass sie vollkommen allein sind.«
    »Das klingt, als würde ich ihnen nachschnüffeln«, sagte sie. »Das tue ich nicht…«
    »Tust du doch«, sagte Marty lachend.
    »Tue ich nicht«, wiederholte sie, »weil das impliziert, dass ich mich dafür interessiere, was die Menschen machen, und das ist es nicht.«
    »Was ist es denn?«, fragte Marty und fügte an Falcón gewandt hinzu: »Mich fotografiert sie nie.«
    »Es ist der innere Kampf«, sagte sie. »Ich hasse es, wenn du mich zwingst, diese Dinge auszusprechen. Es ist einfach nicht…«
    »Haben Sie Aufnahmen von Señor Vega?«, fragte Falcón dazwischen.
    Maddy und Falcón ließen Marty allein auf dem Sofa zurück und gingen nach oben. Eines von den drei Zimmern dort war in eine Dunkelkammer umgewandelt worden. Während Maddy ihre Kontaktabzüge durchsah, betrachtete Falcón die Bücher auf den Regalen und zog eines mit dem Namen Madeleine Coren auf dem Rücken heraus. Auf der Innenklappe war ein Foto von ihr abgedruckt, eine samtene Schönheit, die die Kamera mit einem Blick aus funkelnden Augen aufforderte, näher zu kommen. Damals hatte sie noch das Strahlen der Jugend, das das Leben zu ihrer heutigen Transparenz abgeschliffen hatte. Aber sie hatte nach wie vor etwas von einer Berühmtheit, jene Qualität, nach der Filmproduzenten suchen: nicht Schönheit, sondern Präsenz. Sie saugte die Dinge um sich herum auf – verfügbares Licht, ungenutzte Energie und wer immer vielleicht etwas zu geben bereit war. Falcón riss seinen Blick von ihrem Profil los und schlug den Band auf.
    Auf den ersten Blick schienen ihre Fotografien von Einsamkeit zu handeln: alte Menschen auf Parkbänken, eine Frau in einem Bademantel auf einer Dachterrasse in Manhattan. Nach und nach rückte das Auge der Kamera näher, andere Dinge wurden sichtbar: Zufriedenheit im Gesicht eines alten Menschen,

Weitere Kostenlose Bücher