Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Titel: Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
Vom Netzwerk:
gerahmt, der 75x50 Zentimeter große Abzug eines Mannes, der von einer Brücke starrte, unter der offensichtlich sein ganzes Leben dahinfloss. Zuerst erkannte er die Gesichtszüge nicht, weil in dem Gesicht zu viel auf einmal passierte. Dann stellte er mit einem Schock fest, dass er sich selbst betrachtete – einen Javier Falcón, den er noch nie zuvor gesehen hatte.

FÜNF
    A m Tatort nebenan waren alle ins Schlafzimmer der Vegas im ersten Stock umgezogen. Für Señor Vega hatte Calderón das levantamiento del cadáver, die Erlaubnis zum Abtransport der Leiche, bereits unterschrieben. Die Leiche lag in einem Sack auf einem Rollwagen im Flur und sollte nun in den Krankenwagen verladen und zum Instituto Anatómico Forense in der Avenida Sánchez Pizjuan gebracht werden.
    Die Männer von der Spurensicherung standen jetzt mit ernster Miene um das Bett versammelt und betrachteten Señora Vega mit wie zum Gebet hinter dem Rücken gefalteten Händen. Man hatte das Kopfkissen von ihrem Gesicht genommen und in einem Plastiksack verstaut, der an der Wand lehnte. Ihr Mund stand offen, Oberlippe sowie Zähne waren zu einem verächtlichen Grinsen erstarrt, und ihr Unterkiefer war seitlich verschoben.
    »Sie ist ein Mal mit der rechten Hand geschlagen worden«, erklärte Calderón Falcón. »Der Kiefer ist ausgerenkt… Wahrscheinlich hat er sie bewusstlos geschlagen. Der Médico Forense glaubt, dass der Schlag eher mit der flachen Hand als mit der Faust ausgeführt wurde.«
    »Und die Todeszeit?«
    »Genau wie beim Ehemann: drei, halb vier. Präziser geht es nicht.«
    »Señora Jiménez sagt, Señora Vega hätte Schlaftabletten genommen, zwei pro Nacht, um sich zu betäuben. Sie ist wahrscheinlich wach geworden und musste ruhig gestellt werden, bevor sie erstickt wurde. Gibt es schon irgendetwas, was eine Verbindung zwischen ihrem und Señor Vegas Tod herstellt?«
    »Das kann ich erst im Instituto feststellen«, sagte der Médico Forense.
    »Wir hoffen, auf der Oberseite des Kissens Schweiß oder Speichel zu finden«, sagte Felipe.
    »Das unterstützt Ihre Hypothese eines unbekannten Mörders, Inspector Jefe«, sagte Calderón. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein Mann seiner Frau den Kiefer ausrenkt.«
    »Es sei denn, sie ist, wie gesagt, aufgewacht und vielleicht aufgestanden, als Señor Vega mit der Tötungsabsicht ins Zimmer kam. Vielleicht hat sie in ihm eine Veränderung wahrgenommen, ist hysterisch geworden, und er glaubte, sie gewaltsam ruhig stellen zu müssen«, sagte Falcón. »Das will ich nach wie vor nicht ausschließen. Irgendwelche Gespenster in diesem Raum?«
    »Gespenster?«, fragte Calderón.
    »Irgendetwas, was den Tatort ›verkehrt‹ wirken lässt, nicht so, wie er sein sollte«, erklärte Falcón. »Bei Señor Vegas Leiche in der Küche hatten wir alle das gleiche Gefühl, nämlich dass ein Dritter anwesend war.«
    »Und hier?«
    Jorge zuckte die Achseln.
    »Sie wurde ermordet«, sagte Felipe. »Niemand hat versucht, das zu verbergen. Ob es Señor Vega war, bleibt abzuwarten. Wir haben nur das Kissen.«
    »Was hatten die Nachbarn zu sagen?«, fragte Calderón und löste sich ein paar Schritte von der Gruppe.
    »Wir haben widersprüchliche Aussagen«, sagte Falcón. »Señora Jiménez kennt Señor Vega schon seit einiger Zeit und hielt ihn nicht für jemanden, der Selbstmord begeht. Sie hat auf den neuen Wagen hingewiesen und erzählt, dass er demnächst nach San Diego in Urlaub fliegen wollte. Señora Krugman hingegen hat mir Privatfotos von Señor Vega gezeigt, die sie vor kurzem gemacht hat und auf denen er definitiv verzweifelt aussieht. Sie hat mir diesen Kontaktbogen überlassen.«
    Calderón betrachtete die Bilder stirnrunzelnd.
    »Hier steht er im Januar barfuß im Garten«, erklärte Falcón. »Und hier sieht man ihn unten am Fluss weinen.«
    »Wie kommt sie dazu, diese Fotos zu machen?«, fragte Calderón.
    »Es ist ihre Arbeit«, sagte Falcón. »Ihre Ausdrucksform.«
    »Die private Verzweiflung anderer Menschen zu fotografieren?«, fragte Calderón und zog eine Braue hoch. »Ist sie irgendwie seltsam?«
    »Sie hat mir erklärt, dass sie sich für den inneren Kampf eines Menschen interessiert«, sagte Falcón. »Jene innere Stimme, von der Vázquez gesprochen hat und die nie jemand hört.«
    »Aber was macht sie damit?«, fragte Calderón. »Mit diesen stummen Gesichtern?«
    »Die Stimme ist laut im eigenen Kopf, aber stumm für die Außenwelt«, sagte Falcón. »Sie interessiert sich für

Weitere Kostenlose Bücher