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Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Titel: Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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das Bedürfnis des verzweifelten Menschen, in der Öffentlichkeit zu sein… unter Fremden, unter seinesgleichen.«
    Sie wechselten einen Blick, verließen den Raum und gingen in Marios Zimmer. Calderón gab ihm den Kontaktbogen zurück.
    »Was soll das alles?«, fragte Calderón.
    »Ich berichtet Ihnen nur, was sie gesagt hat.«
    »Ist es für sie so etwas wie ein… Ersatzerlebnis?«
    »Sie hat ein Foto von mir an ihrer Wand«, sagte Falcón immer noch wütend. »Eine Großaufnahme von mir , wie ich von der Puente de Isabell II in den Fluss starre, Herrgott noch mal.«
    »Also ist sie eine Art Gefühlspaparazzo«, sagte Calderón und verzog das Gesicht.
    »Fotografen sind eigenartige Menschen«, sagte Falcón, der selbst Anhänger dieser Kunst war. »Ihre Währung sind die perfekten Augenblicke des wirklichen Lebens. Sie definieren für sich ihre Vorstellung von Perfektion und verfolgen sie dann… wie eine Beute. Wenn sie Glück haben, finden sie ein Bild, das ihre Idee realer macht… Letztendlich bannen sie das Flüchtige.«
    »Gespenster, innere Konflikte, gebannte Flüchtigkeiten…«, sagte Calderón. »Für unseren Fall ist das alles unbrauchbar.«
    »Warten wir die Autopsie ab. Das sollte uns etwas Konkretes liefern, womit wir weiterarbeiten können. In der Zwischenzeit würde ich gern Sergej, den Gärtner, finden, der dem Tatort am nächsten war und die Leiche entdeckt hat.«
    »Noch ein Gespenst«, meinte Calderón.
    »Wir sollten seine Zimmer in dem Gartenhäuschen durchsuchen.«
    Calderón nickte.
    »Vielleicht werfe ich derweil einen Blick auf Señora Krugmans Fotos«, sagte Calderón. »Ich möchte die Vergrößerungen der Aufnahmen sehen.«
    Falcóns Blick folgte dem Staatsanwalt zurück an den zweiten Tatort, wo Calderón einige Worte mit dem Médico Forense wechselte und dabei sein Handy in der Hand hin und her rollen ließ wie ein Stück Seife. Falcón schüttelte den beunruhigenden Gedanken ab, dass Calderón eigenartig verlegen und übereifrig wirkte, was sonst nicht seine Art war.
    Als Falcón schwitzend über den in der grellen Sonne liegenden Rasen stapfte, entdeckte er auf dem Gartengrill einen Stapel fast verbrannten Papiers. Das oberste Blatt war bröckelig und zerfiel bei der leisesten Berührung mit einem Stift zu Asche. Doch darunter waren einige Seiten nicht ganz von den Flammen verzehrt worden; auf ihnen konnte man eine Handschrift erkennen.
    Er rief Felipe mit seiner Ausrüstung auf die Terrasse. Der betrachtete den Stapel durch seine Vergrößerungsbrille.
    »Viel werden wir davon nicht retten können«, sagte er. »Wenn überhaupt etwas.«
    »Sieht aus wie Briefe, finde ich«, sagte Falcón.
    »Ich kann nur einzelne Silben erkennen, aber die Schrift hat die geschwungenen Rundungen einer weiblichen Hand. Ich mache auf jeden Fall ein Foto, bevor alles zerfällt.«
    »Nennen Sie mir die Silben, die Sie sehen.«
    Felipe las ein paar Worte, die zumindest bestätigten, dass es sich um Spanisch handelte, und machte mehrere Fotos mit seiner Digitalkamera. Das verbrannte Papier sackte weiter in sich zusammen, als er mit seinem Stift tiefer grub. Er fand die Zeile » en la escuela « – in der Schule, aber sonst nichts. Am Boden des Stapels stieß er auf Papier von anderer Qualität. Er hob einige Fasern aus den schwarzen Flocken.
    »Das ist ein Foto neueren Datums«, sagte er. »Sie sind sehr leicht entzündlich. Die Beschichtung schlägt Blasen, während das Papier darunter verbrennt, und übrig bleibt dann das. Alte Fotos brennen nicht so leicht. Das Papier ist dicker und von besserer Qualität.«
    »Können wir das datieren?«
    »Dieses Papier wird in Spanien seit Jahren nicht mehr kommerziell verwendet, aber vielleicht wurde das Foto privat oder im Ausland entwickelt, wo man diese Art Papier immer noch benutzt. Ziemlich… vertrackt«, sagte Felipe. »Die Frisur des Mädchens sieht ein wenig altmodisch aus.«
    »60er Jahre, 70er Jahre?«, fragte Falcón.
    »Vielleicht. Sie wirkt jedenfalls nicht wie ein Mädchen einfacher Herkunft. Und die Hand der Frau auf ihrer Schulter sieht auch nicht aus, als wäre sie an körperliche Arbeit gewöhnt. Vielleicht handelt es sich um reiche Ausländer. Ich habe in Bolivien einige Cousinen, die ein bisschen so aussehen, irgendwie nicht ganz zeitgemäß, verstehen Sie?«
    Sie tüteten das angesengte Foto ein und suchten einen schattigen Platz, um sich abzuklopfen – die Asche hatte Spuren hinterlassen.
    »Alte Briefe und Fotos verbrennt man, wenn man

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