Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
wäre ein Männergespräch, dessen Inhalt mir nie zu Ohren kommen wird«, sagte Consuelo. »Er hat Ihre Gabe zur Vertraulichkeit unterschätzt, Javier. Andererseits, Vertraulichkeit zwischen einem Polizisten und einer… was auch immer. Er hat wahrscheinlich geglaubt, er wäre sicher.«
»Er kannte Raúl, nicht wahr?«, fragte Falcón. »Ich erinnere mich an sein Gesicht von den Fotos hinter dem Schreibtisch in Ihrer alten Wohnung, und zwar nicht in der Prominentenabteilung.«
»Die Verbindung war Pablos Bruder«, sagte sie. »Ignacio hat für Raúl gearbeitet.«
»Ich würde mir Raúls Fotos gern noch einmal ansehen, wenn das möglich ist.«
»Ich sage im Büro Bescheid.«
Die Welt der Autos – Repsol, Firestone, Renault – leuchtete ihm entgegen, als er die Avenida de Kansas City hinunterfuhr. Während die Gebäude jenseits der Windschutzscheibe vor Energie pulsierten, grübelte Falcón über seine Vertrautheit mit Consuelo Jiménez. Er fühlte sich wohl mit ihr. Sie war ein Teil seiner Vergangenheit. Er dachte daran, wie sie mit einem Glas in der Hand in ihrem kühlen Haus auf dem Sofa gesessen und mit dem Fuß gewippt hatte; und wie sie jetzt mit den Kindern lachte, während sie sie mit Handtüchern abrubbelte und zum Essen in die Küche führte. Er hingegen fuhr zurück in den zuckenden Moloch der Stadt, der, niedergedrückt von der Hitze, hechelnd am Boden lag.
Eine Anzeige vor der Estacíon de Santa Justa am Ende der Avenida de Kansas City informierte ihn darüber, dass die Temperatur vierundvierzig Grad Celsius betrug. Er parkte und taumelte durch die glutheiße Luft in den Bahnhof. Von dort aus rief er Pérez an, der berichtete, dass er Señor Cabello überredet hatte, seine Frau in der Intensivstation allein zu lassen. Pérez befand sich jetzt in Señor Cabellos Wohnung in der Calle de Felipe II in El Porvenir, und er wartete darauf, dass ihn die erste und einzige weibliche Kollegin bei der Mordkommission, ablöste, Policía Cristina Ferrera.
Falcón stand vor der Absperrung zu dem Gleis, wo soeben der AVE, der Hochgeschwindigkeitszug aus Madrid, eingefahren war, und hielt einen handgeschriebenen Zettel hoch, der nach Carmen Ortiz fragte. Eine Frau mit schwarzen Haaren und großen braunen Augen in einem blassen, verängstigten Gesicht kam auf ihn zu. Sie hatte zwei Kinder bei sich, und »verstört« schien ein zu mildes Wort, um ihren Zustand zu beschreiben.
Gemeinsam fuhren sie zurück nach Santa Clara. Unterwegs redete Carmen Ortiz pausenlos auf ihn ein, wobei sie vor allem von ihrem Mann sprach, der auf Geschäftsreise in Barcelona war und erst am nächsten Morgen nach Sevilla fliegen konnte. Die Kinder blickten aus dem Fenster, als ob sie in ein sichereres Gefängnis verlegt würden. Falcón murmelte ein paar aufmunternde Bemerkungen, während Señora Ortiz die Stille flutete.
Als Consuelo die Tür öffnete, klammerte sich Mario an ihr fest wie ein Schimpanse. Nach dem Schwimmen hatte sich der Junge wieder in sein fragiles Schweigen zurückgezogen. Er ließ sich mit einer Bereitwilligkeit in Carmens Obhut fallen, die sein Bedürfnis nach Nähe zeigte. Carmen verblüffte alle mit ihrer unerschöpflichen Erinnerung an alle möglichen Details der Reise. Consuelo hörte ihr geduldig zu, weil sie erkannt hatte, dass Carmen keinen Moment Stille zulassen wollte, in den das Unglück dieses Tages seinen Keil treiben und die Zeit aufbrechen konnte, um Marios Zukunft voller Verzweiflung und Einsamkeit zu enthüllen.
Sie gingen zum Wagen. Die ganze Familie saß hinten. Die Kinder streichelten Mario, als ob er ein verletztes Kätzchen wäre. Consuelo beugte sich in den Wagen und küsste den Jungen fest auf die Stirn, und Falcón meinte beinahe hören zu können, wie sie sich losreißen musste. Er kannte das widerwärtige Gefühl des Stürzens, das sich im Bauch des Jungen ausbreitete, als sein freier Fall ins mutterlose Chaos begann. Die Zeit bedingungsloser Liebe war vorüber. Die Frau, die ihn geboren hatte, war weg. Er empfand tiefes Mitleid mit dem Jungen, den er jetzt zurück in die Stadt fuhr.
Er brachte sie zu Señor Cabellos Wohnung und trug das Gepäck nach oben. Sie wirkten wie Nomaden, als sie durch die Tür traten. Señor Cabello saß reglos in einem Schaukelstuhl, doch beim Anblick seiner Enkel begannen seine Lippen zu zittern. Mario klammerte sich strampelnd an seine Tante. Pérez war gegangen. Falcón und Ferrera zogen sich zurück, und eine wimmernde Ahnung ihres unabwendbaren
Weitere Kostenlose Bücher