Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
Schicksals machte sich in der zerstörten Familie breit.
Sie fuhren mit dem Fahrstuhl nach unten. Ferrera legte seufzend den Kopf zur Seite, als wäre ihr der Schmerz der Begegnung in den Nacken gekrochen. Sie fuhren schweigend in die Innenstadt, wo Falcón sie absetzte. Danach fädelte Falcón sich wieder in den Verkehr ein und fuhr um die Plaza Nueva. Er bog rechts in die Calle Mendez Nuñez und wartete vor dem El Corte Inglés. Als er von der Plaza de la Magdalena in die Calle Bailén biegen wollte, klingelte sein Handy.
»Ich will in meiner ersten Woche nicht klingen wie ein Idiot«, sagte Cristina Ferrera, »aber ich glaube, Sie werden verfolgt. Es ist ein blauer Seat Cordoba zwei Fahrzeuge hinter Ihnen. Ich habe die Nummer notiert.«
»Geben Sie sie an die Jefatura durch, und sagen Sie denen, die sollen mich anrufen«, sagte Falcón. »Ich werde das prüfen.«
Im schwächer werdenden Licht konnte er gerade noch die Farben unterscheiden und entdeckte den Seat, der nur einen Wagen hinter ihm war, als er am Hotel Colón vorbeifuhr. Er passierte den Fliesenladen direkt neben seinem Haus, bog in die kurze Einfahrt, parkte zwischen den Orangenbäumen und stieg aus. Der blaue Seat blieb vor ihm stehen, er schien voll besetzt zu sein. Falcón ging auf den Wagen zu, doch der fuhr langsam und ohne Eile weiter. Er hatte sogar noch Zeit, das Nummernschild zu lesen, bevor das Auto hinter dem Hotel Londres um eine Ecke bog.
Die Jefatura, das Polizeipräsidium, rief ihn auf dem Handy an und berichtete, dass auf die von Cristina Ferrera gemeldete Nummer kein blauer Seat Cordoba zugelassen war. Er sagte, sie sollten die Nummer an die Verkehrspolizei weitergeben, vielleicht hatten sie ja Glück.
Dann öffnete er das Tor zu seinem Haus, stellte den Wagen ab und schloss das Tor hinter sich. Ihm war unbehaglich zumute, und er hatte eine Gänsehaut. Im Patio blickte er sich lauschend um, als ob er einen Einbrecher erwartete. Aus der Ferne drang Verkehrslärm an sein Ohr. In der Küche hatte Encarnación, seine Haushälterin, einen Fischeintopf in den Kühlschrank gestellt. Falcón kochte sich Reis, wärmte den Eintopf auf und trank ein Glas kalten Weißwein. In einem eigenartig erwartungsvollen Zustand aß er mit dem Blick zur Tür.
Nach dem Essen tat er etwas, was er lange nicht getan hatte, nahm eine Flasche Whisky und ein Glas mit Eis und ging in sein Arbeitszimmer. Er hatte eine Chaiselongue mit grauem Samtbezug aus dem Zimmer im ersten Stock heruntergeschafft, auf die er sich jetzt mit einem vollen Glas Whisky niederließ, das er auf seine Brust stellte. Die Ereignisse des Tages hatten ihn erschöpft, aber an Schlaf war aus vielerlei Gründen noch lange nicht zu denken. Falcón trank den Whisky methodischer, als er irgendeine seiner Ermittlungen anging. Er wusste, was er tat –, es bedurfte eines entschlossenen Vorsatzes, um die Verheerungen des Tages auszublenden. Bis zum Grund des dritten Glases hatte er Mario Vegas neue Kindheit und Sebastián Ortegas schwieriges Leben mit einem berühmten Vater durchgearbeitet. Jetzt war Inés an der Reihe. Doch er hatte Glück. Sein Körper war so viel Alkohol nicht mehr gewöhnt, und er schlief, die Wange auf dem weichen grauen Bezug der Chaiselongue gebettet, gnädig ein.
SIEBEN
Donnerstag, 25. Juli 2002
E s hatte auch in der Nacht kaum abgekühlt, und als Falcón um halb acht in der Jefatura eintraf, herrschten auf den Straßen schon wieder Temperaturen von sechsunddreißig Grad. Die Luft war so drückend wie ein altes Regime. Er hatte einen Kater, der sich anfühlte, als stecke ein Beil in seinem Kopf. Schon der kurze Weg vom Wagen in sein Büro bereitete ihm Schwindelgefühle und ließ ihn keuchen.
Er war überrascht, als er an einem der Schreibtische in dem Großraumbüro Inspector Ramírez mit zwei Fingern auf eine Computertastatur einhacken sah. Falcón hatte immer daran gezweifelt, dass er und Ramírez je Freunde werden würden, zumal er den Posten übernommen hatte, den Ramírez als seinen Erbhof betrachtet hatte. Aber seit er vor vier Monaten wieder Vollzeit eingestiegen war, verstand er sich besser mit seiner Nummer zwei. Während Falcón wegen seiner depressiven Erkrankung krankgeschrieben war, hatte Ramírez die Gelegenheit, den Chef zu spielen, mit beiden Händen ergriffen – und dann festgestellt, dass es ihm nicht gefiel. Der Druck, dem man in dieser Position ausgesetzt war, war zu viel für ihn. Ihm fehlte nicht nur der notwendige kreative Zug, um eine neue
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