Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
und wieder verkauft worden war. Glauben Sie mir, Inspector Jefe, wir haben den Kreis einmal durchlaufen und sind jetzt wieder in der Ära des Sklavenhandels.«
»Könnten Sie mir einen knappen Überblick geben?«
»Die Staaten der ehemaligen Sowjetunion sind voller Menschen. Viele sind fähig und intelligent – Universitätsprofessoren, Dozenten an technischen Hochschulen, Ingenieure, öffentliche Bedienstete –, aber kaum einer kann in der postsowjetischen Ära seinen Lebensunterhalt verdienen. Sie versuchen, von fünfzehn bis zwanzig Euro im Monat zu existieren. Wir in Europa, vor allem in Ländern wie Italien und Spanien, haben nicht genug Leute. Ich habe Berichte gelesen, nach denen Spanien eine Viertelmillion Menschen pro Jahr zusätzlich benötigt, nur damit das Land funktioniert, Menschen, die Steuern zahlen, damit der Staat das Geld hat, meine Pension zu finanzieren. Das ökonomische Prinzip von Angebot und Nachfrage ist am leichtesten zu verstehen und wird ab sofort ausgebeutet.
Um nach Europa zu kommen, braucht man ein Visum. Ich habe gehört, dass viele Ukrainer nach Polen einreisen und ihre Visa von den Botschaften in Warschau bekommen. Portugal erteilt recht freigiebig Einreisegenehmigungen, während es in Spanien wegen unseres Problems mit den Marokkanern schwieriger ist, aber man kann sich ohne größere Umstände bei einer Sprachschule oder dergleichen anmelden. Dafür braucht man natürlich Hilfe. Und da tritt die Mafia auf den Plan. Sie organisiert den Transport und berechnet dafür ein Minimum von tausend Dollar pro Kopf… Ich sehe, Sie rechnen, Inspector Jefe.«
»Fünfzig Leute in einem Bus abzüglich ein paar Tausend an Betriebskosten«, sagte Falcón, »Man kann sich leicht ausrechnen, wie gut das funktioniert.«
»Sie kassieren pro Busladung mindestens 45000 Dollar«, sagte Montes. »Aber damit hört es nicht auf, denn mit ein wenig Einschüchterung kann man diese Leute auch für sich arbeiten lassen, wenn sie ihr Ziel erreichen. Die Mafiabanden sammeln sie auf. Frauen und Kinder wandern in die Prostitution, Männer in die Zwangsarbeit. Es passiert überall – London, Paris, Berlin, Prag. Ein Freund von mir hat im letzten Monat Urlaub in der Nähe von Barcelona gemacht, und an der Straße nach Rosas stand eine Reihe schöner Mädchen, die ihn winkend zum Anhalten bewegen wollten, und das waren keine Tramperinnen.«
»Und zu was für Arbeiten werden die Männer herangezogen?«
»Fabrikarbeit, Baustellen, Lager, Fahrerjobs – alle niederen Arbeiten. Man sieht sie sogar in den Gewächshäusern im Flachland Richtung Huelva. Auch Mädchen.
Vor vier oder fünf Jahren war Prostitution etwas, dem man nur begegnet ist, wenn man wollte oder wenn man in einer Stadt falsch abgebogen ist. Die Rotlichtbezirke waren klar abgegrenzt. Jetzt kann man auf einer Tankstelle in der Pampas Mädchen ›bei der Arbeit‹ antreffen.«
Montes zündete sich eine neue Zigarette an und drückte die zu Ende gerauchte im Aschenbecher aus.
»Jetzt weiß ich, dass ich zu alt für diesen Job bin. Es ist keine Herausforderung mehr, sondern es hat mich einfach überwältigt und besiegt«, seufzte er. »Sie sagten, Sie hätten noch eine Frage, Inspector Jefe. Beeilen Sie sich, bevor ich mich vor Verzweiflung auf den Parkplatz stürze.«
Falcón zögerte, er spürte den Überdruss des Mannes und konnte ihm seine grenzenlose Erschöpfung und tiefe Enttäuschung nachfühlen.
»War nur ein Scherz, Inspector Jefe«, sagte Montes. »Ich bin schon zu knapp vor dem Ende. Die Typen in der Mitte ihrer Laufbahn tun mir Leid. Die haben noch ganz schön was vor sich.«
»Ich wollte Sie nach Sebastián Ortega fragen, aber das hat auch Zeit bis zum nächsten Mal.«
»Nein, nein… wirklich kein Problem, Inspector Jefe. Ich brauche einfach meinen Jahresurlaub«, sagte Montes. »Was ist mit Sebastián Ortega?«
»Pablo Ortega ist Rafael Vegas Nachbar. Der zuständige Untersuchungsrichter in diesem Fall ist Esteban Calderón.«
»Ah ja, nun, ich würde die beiden nicht in einem Zimmer zusammenbringen.«
»Was ist damals passiert? Es klingt wie ein merkwürdiger Fall.«
»Welche Version wollen Sie hören?«
»Verstehe… so kompliziert liegt die Sache«, sagte Falcón. »Ich habe gehört, dass er den Jungen entführt, mehrere Tage lang missbraucht und dann freigelassen hat. Anschließend hat er darauf gewartet, dass die Polizei ihn verhaftet.«
»Das hat man ihm vor Gericht angehängt – Entführung und sexuellen
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