Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Titel: Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
Vom Netzwerk:
ich traf auf der Toilette ein russisches Mädchen. Sie schenkte mir eine Zigarette und sagte, ich sollte nicht nach Lissabon fahren. Sie stellte mich einem Spanier vor, der meinte, er könnte mir einen Job in einem Restaurant in Madrid besorgen. Ich fragte, ob er auch Sergej Arbeit besorgen könnte, und er sagte, Sergej könnte als Spüler arbeiten, das wäre kein Problem. Die Bezahlung wäre sechshundert Euro pro Monat. Also sind wir aus dem Bus ausgestiegen.«
    Achselzuckend drückte sie ihre Zigarette aus, und Ramírez gab ihr eine neue.
    »Es gab kein Restaurant. Wir wurden in eine Wohnung gebracht, in der wir bleiben könnten, sagten sie. Sie würden am nächsten Morgen wiederkommen. Irgendwann später klopfte es, und drei große Russen kamen herein. Sie verprügelten uns und nahmen uns unsere Pässe ab. Alle drei Männer vergewaltigten mich. Sergej wurde weggebracht. Ich wurde in der Wohnung eingesperrt. Jeden Tag kamen sie, zwangen mich zum Sex und gingen ohne ein Wort wieder. Nach drei Monaten kamen die Russen mit einem anderen Russen. Ich musste mich ausziehen, und er begutachtete mich wie ein Stück Vieh. Er nickte und ging. Ich war soeben verkauft worden. Ich wurde nach Sevilla gebracht und in eine Wohnung gesteckt. Ein halbes Jahr lang behandelte man mich sehr schlecht, dann wurde es ein wenig besser. Ich durfte die Wohnung verlassen, um in einem Club arbeiten zu gehen. Ich habe Getränke serviert und… andere Sachen gemacht. Sie gaben mir meinen Pass zurück. Sie renkten mir den Finger aus«, sagte sie und hielt ihre Hand hoch, »damit ich nie vergesse… Die Mühe hätten sie sich sparen können. Ich hatte sowieso Angst. Zu viel Angst, um wegzulaufen – und wohin hätte ich ohne Geld und in diesem Aufzug fliehen sollen? Sie haben mir die Adresse meiner Familie genannt und damit gedroht, das sie ihr etwas antun würden. Außerdem haben sie gesagt, sie hätten Sergej, und haben damit gedroht, was mit ihm passieren würde, wenn ich weglaufe.«
    Sie bat um ein Glas Wasser, und Serrano brachte eine Flasche. Die Dolmetscherin sah aus, als könnte sie Nadjas Geschichte nicht mehr länger ertragen.
    »Ich bekomme ein bisschen Geld für Essen und Zigaretten. Man vertraut mir, aber ein Fehler, und ich werde verprügelt und in der Wohnung eingesperrt«, sagte sie und zeigte auf ihr Auge. »Das ist noch von meinem letzten Fehler. Man hat mich in einer Kneipe mit Sergej reden sehen. Es war das zweite Mal, das ich ihn getroffen habe. Wir sind uns eines Abends zufällig begegnet, und er hat mir gesagt, wo er arbeitet.«
    »Wann war das?«
    »Vor sechs Wochen«, sagte sie. »Danach wurde ich verprügelt und zwei Wochen lang eingesperrt.«
    »Aber Sie haben ihn trotzdem wiedergetroffen?«
    »Zweimal. Zwei Wochen, nachdem ich wieder raus durfte, habe ich das Haus gefunden, in dem er gearbeitet hat. Wir haben bloß geredet. Er hat mir erzählt, was ihm passiert ist. Die Arbeit auf den Baustellen, die er machen musste – gefährliche Arbeit, bei der Männer ums Leben gekommen sind – und wie sehr er Europa hasste und zurück nach Lvov wollte.«
    »Hat er Ihnen erzählt, für wen er arbeitet?«
    »Ja, aber ich habe den Namen vergessen. Es war unwichtig. Er war der Besitzer der Baustelle, auf der er gearbeitet hat.«
    »Und wann haben Sie ihn zum zweiten Mal getroffen?«
    »Am Mittwochmorgen ist er in meine Wohnung gekommen und hat gesagt, ich soll meine Sachen packen… wir würden weggehen. Er hat gesagt, der Mann, für den er arbeitet, würde tot in seiner Küche liegen, und wir müssten abhauen.«
    »Warum wollte er fliehen?«
    »Er hat gesagt, er wollte nicht zurück auf die Baustellen. Er hat gesagt, wir müssten schnell machen, die Polizei würde kommen, und er müsste schleunigst verschwinden.«
    »Hatte er Geld?«
    »Er hat gesagt, er hätte genug Geld. Ich weiß nicht, wie viel.«
    Sie kniff die Augen zusammen, wollte schlucken, konnte aber nicht. Sie trank etwas Wasser, und Ramírez gab ihr noch eine Zigarette.
    »Sie sind nicht mitgegangen?«, fragte Falcón.
    »Ich konnte nicht. Ich hatte zu viel Angst. Er hat auf Wiedersehen gesagt, und das war’s.«
    »Können Sie sich daran erinnern, was genau er gesagt hat, als er Ihnen erzählte, dass sein Arbeitgeber tot war?«
    Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und presste ihre Fingerspitzen an die Stirn.
    »Er hat nur gesagt, dass er tot war.«
    »Hat er gesagt, dass er ermordet worden ist?«
    »Nein… nur: Er ist tot.«
    »Und hat seitdem irgendwer bei Ihnen

Weitere Kostenlose Bücher