Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
nach Sergej gefragt?«
Sie zeigte auf die Blutergüsse an ihren Armen. »Sie wussten, dass Sergej zu mir kommen würde. Sie haben mich zu Boden gedrückt und mir alles Mögliche angetan, aber ich konnte ihnen nichts sagen. Ich wusste nur, dass er weg war.«
Sie sah nervös auf die Uhr.
»Was haben sie Sie gefragt?«
»Sie wollten wissen, warum Sergej weggelaufen ist und was er gesehen hatte, und ich habe ihnen gesagt, er hätte nur einen Toten auf dem Boden liegen sehen. Das war alles«, sagte sie. »Und jetzt muss ich gehen.«
Falcón rief Serrano herein, aber der war bereits von Ferrera abgelöst worden. Er bat sie, das Mädchen zurück in die Bar in der Calle Alvar Nuñez Caleza de Vaca zu bringen. Ramírez gab ihr seine Zigaretten. Sie nahm das Geld, stopfte es in ihr Top und ging.
Die Dolmetscherin hatte Mühe, ihre Quittung zu unterschreiben, so als wäre ihr Leben in der letzten Viertelstunde ein wenig sinnloser geworden. Ramírez erinnerte sie an die Vertraulichkeitsvereinbarung, die sie unterzeichnet hatte. Als sie gegangen war, lehnte er sich in seinem Stuhl breitbeinig zurück und rauchte schweigend.
»Es ist unser Job, uns das anzuhören und nichts zu tun«, sagte er schließlich. »Dafür werden wir bezahlt.«
»Sieh dir Alberto Montes an«, sagte Falcón. »Dem stehen die Geschichten auch bis hier.«
»Ich weiß nicht, wie dein Treffen mit Calderón heute Morgen gelaufen ist«, sagte Ramírez, »aber eines ist jetzt jedenfalls klar. Die russische Mafia ist in den Fall verwickelt.«
Er drückte seine Zigarette in dem billigen Blechaschenbecher aus. Auf dem Rückweg ins Büro klimperte Ramírez mit seinen Autoschlüsseln.
»Ich setze heute Nachmittag ein paar Männer auf die Busbahnhöfe an, lasse den Flughafen überprüfen und schicke Sergejs Foto an die Häfen und eine E-Mail an die Polizei in Lissabon«, sagte er und verabschiedete sich zum Mittagessen.
Falcón trat ans Fenster und sah Ramírez unten auftauchen und entlang des Gebäudes der Jefatura zu seinem Wagen gehen. In dem angrenzenden Komplex mit Büros sah er einen weiteren Mann am Fenster stehen, der die gleiche langweilige Szene beobachtete – Inspector Jefe Alberto Montes. Falcóns Handy vibrierte. Isabel Cano wollte ihn irgendwann vor neun Uhr abends in ihrem Büro treffen. Er sagte, er würde es versuchen, und legte auf.
Montes öffnete sein Fenster und blickte auf den zwei Etagen tiefer liegenden Parkplatz. Falcóns Handy vibrierte erneut: Consuelo Jiménez lud ihn für den Abend zu sich zum Essen ein. Er willigte ein, ohne nachzudenken, weil er von Montes, der jetzt beide Ellenbogen auf das Fenstersims stützte und sich hinauslehnte, so abgelenkt war. Niemand öffnete bei fünfundvierzig Grad Celsius das Fenster seines klimatisierten Büros. Montes wandte den Kopf, zog sich zurück und schloss das Fenster wieder.
Falcón fuhr zum Essen nach Hause. Die Hitze und Nadjas Geschichte hatten ihm eigentlich den Appetit verdorben, dennoch aß er zwei Schalen kalten Gazpacho und ein Brot mit Chorizo. Er fragte Encarnación, ob sie am Tag zuvor jemanden ins Haus gelassen hätte. Sie verneinte die Frage, gestand jedoch, am Vormittag die Haustür zum Lüften für eine Stunde offen gelassen zu haben. Er legte sich oben ins Bett und döste ein, wobei ihm sein Verstand noch einmal verstörende Versionen der Befragungen dieses Tages vorspielte. Sie kulminierten in dem Anblick einer Zelle, an deren Wänden blasse, blutige Abdrücke von menschlichen Händen prangten. Falcón schleppte sich unter die Dusche, um die furchtbare Angst abzuspülen, die das letzte Bild hinterlassen hatte. Das Wasser strömte über seine Haare und Lippen, und ihm kam der Gedanke, dass er lange genug mönchischer Detektiv gewesen war und es Zeit wurde, sich ins Leben zu stürzen.
Auf der Fahrt zur Jefatura rief er Alicia Aguado an, die sich die Kassetten mit dem Fall von Sebastián Ortega bereits angehört hatte. Sie war an einem Gespräch mit Sebastián interessiert, wenn Pablo Ortega einverstanden und die Gefängnisleitung kooperativ war.
Falcón berichtete ihr von der Unterhaltung, die er am Morgen mit dem Schauspieler geführt hatte, und von seinem Zögern, seine Einwilligung zu etwas zu geben, das Sebastiáns ohnehin fragilen psychischen Zustand weiter verschlechtern könnte.
»Nun, die beiden verbindet bestimmt eine schlimme Geschichte miteinander«, sagte sie. »Genau wie Sebastián und seine Mutter, die ihn durch Scheidung und Tod zweimal verlassen hat.
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