Die Totenfalle
dem gnadenlosen Griff der Hand.
Keine Gnade…
Der Kampf ging verloren.
Die Tote war stärker!
Luft, Luft, Luft…
Es war wie ein Schrei, wie ein Trompetenstoß – und der Schrei gellte auf. Er zitterte wie eine schaurigfrenetische Botschaft durch das Zimmer – und Yvonne erwachte…
***
So schlimm, so real und grauenhaft war dieser Traum noch nie zuvor gewesen.
Sie hatte sich aufgesetzt, ohne es direkt bemerkt zu haben. Sie saß im Bett, sie hörte jemand weinen und stellte erst nach einer Weile fest, daß sie es war, die weinte.
Sie war fertig, am Ende. Ihr Körper zuckte, das Herz schlug wie rasend, denn dieser Traum hatte sie regelrecht zerstört und ihr auch die Hoffnung geraubt. Er war einfach so furchtbar und so real gewesen, daß sie es nicht schaffte, ihn zu verdauen.
Besonders der Schluß, wo sich das Grab geöffnet hatte und die Klaue hervorgejagt war, um ihren Hals zu umfassen, der seltsamerweise schmerzte, als wäre all dies tatsächlich passiert. Wie konnte ein Mensch nur so intensiv träumen? Diese Frage beschäftigte sie trotz ihrer Furcht, die noch immer als Folge des Traums in ihr steckte.
Sie schaltete das Licht ein. Es floß weich über das Bett hinweg, es verströmte Ruhe, es war sanft, doch auch als die Schatten der Dämmerung im Zimmer vertrieben waren und sie die vertraute Umgebung besser sah, kam sie zu keinem Ergebnis.
Zwei Dinge kristallisierten sich sehr stark hervor. Zum einen sie persönlich, zum anderen Tabitha Leroi, die Person, die sie vor zwei Tagen begraben hatte. Yvonne hatte selbst gesehen, wie der Sarg in die Grube hineingelassen worden war. Es mußte einfach unmöglich sein, daß aus dem Grab eine Hand erschien und nach ihrer Kehle faßte. Außerdem hatte man ihr mitgeteilt, daß sie den Friedhof besuchen würde. Auch im Tod bestand die Verbindung noch. Es war wie bei liebenden Menschen, die lange Jahre zusammen gewesen waren, da hörte die Beziehung eigentlich auch dann nicht auf, wenn einer der beiden gestorben war.
Tabitha und sie.
Tabitha und andere…
Warum dachte sie an die anderen. An all die Menschen, die bei der Geistheilerin Trost und Hoffnung gesucht hatten. Alte und Junge, Reiche und Arme waren gekommen, und für jeden hatte Tabitha die nötige Zeit aufgebracht. Viele waren von ihren Krankheiten geheilt worden und hatten die Praxis als glückliche Menschen verlassen. Sehr oft hatte sich Yvonne die Frage gestellt, wie Tabitha so etwas nur fertigbrachte, und sie hatte auch eine Antwort erhalten.
»Schau dir die Hände an!« hatte Tabitha mit beschwörend klingender Stimme erklärt, »sie und der Glaube an die anderen Welten sind meine Geheimnisse.«
Der Glaube an andere Welten!
Über diesen Satz stolperte Yvonne auch in der Erinnerung. Dieser Glaube mußte ungemein stark gewesen sein, doch welche anderen Welten hatte Tabitha damit gemeint? Etwa das Jenseits? Saß dort jemand, zu dem sie einen Kontakt aufgebaut hatte? War von dort Hilfe zu erwarten?
Yvonne hatte nie versucht, tiefer in diese Person zu drängen. Auf der einen Seite hatte sie sich natürlich dafür interessiert, auf der anderen aber wollte sie nicht Bescheid wissen. Diese Dinge waren ihr einfach zu unheimlich und auch zu kompliziert. Sie erklären zu können, warf nur ihr Weltbild durcheinander.
Der Hals tat ihr weh. Und zwar beim Schlucken. Sie hatte auch mit offenem Mund gelegen, und durch den heftigen Atem war die Kehle wie ausgetrocknet. Dagegen half Wasser. Sie mußte also aufstehen und ins Bad gehen.
Das grelle Licht schmerzte in ihren Augen. Auch fühlte sie sich wie benebelt. Ihre Schritte waren nicht so wie sonst. Sie sah im Spiegel, daß sie leicht schwankte.
Die Zahnbürste nahm sie aus dem Glas, drehte das Wasser an und ließ es in das Gefäß schäumen. Als sie es an den Mund ansetzte, schaute sie dabei zwangsläufig in den Spiegel.
Das Wasser schwappte über. Es klatschte ihr ins Gesicht, weil sie sich vor sich selbst erschreckt und die Hand mit dem Glas ruckartig bewegt hatte.
Nicht vor ihrem Gesicht, sondern vor dem Hals!
Sie erinnerte sich an die schlimmste Szene des Traums, als die starke Hand aus dem Grab gekommen war und sich blitzartig um ihre Kehle geklammert hatte.
War das überhaupt ein Traum gewesen?
Nein, bestimmt nicht, denn durch einen Traum hätten nicht die roten Druckstellen an ihrem Hals erscheinen können…
***
»Was hältst du von der Sache?« fragte Suko, als er aus dem Vorzimmer zurückkehrte und frischen Kaffee brachte.
»Weiß
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