Die Totenfrau des Herzogs
glitt wieder auf diese seltsame Art und Weise über das Segel. Wie magisch zog ihr Blick ihn an. Er sank auf die Ruderbank, den Eimer in der Hand, und ließ sich von ihrem Blick verzaubern. Es gab keinen Grund mehr, woandershin als in ihre Augen zu schauen …
»Wir ertrinken nicht«, flüsterte sie noch einmal.
Und als tatsächlich wie durch ein Wunder längs der Küste von Lefka die Schiffe der Herzogin in Sicht gerieten, flackerte ein kleines Lächeln über ihre Züge. Das Unmögliche war geschafft! Gérard stieß einen Schrei aus. Nur mühsam konnte er sich zurückhalten aufzuspringen, sie an sich zu reißen und über dem Schwung möglicherweise doch noch zu kentern, und so quetschte er nur die Hände, bis es in den Fingergelenken knackte.
Ima starrte auf ihr blutiges Kleid. Er sah erst jetzt, dass ihr Tränen über das Gesicht liefen und dass sie versuchte, sich das Blut von den Fingern zu wischen. Wieso hatte er nicht bemerkt, dass ihr der Schrecken noch in den Knochen saß? Er schalt sich für seine Blindheit. Das Blut war getrocknet, trotzdem rieb sie weiter und verschmierte die Blutspuren im Gesicht immer mehr. Irgendwie machte ihn das zornig - Blut in ihrem Gesicht gehörte sich nicht. Sie war eine Dame und keine Mörderin. Und so überwand er die eine Ruderbank, die sie voneinander trennte, und kniete vor ihr nieder. Er riss einen Streifen von seinem Hemd ab und tauchte ihn ins Wasser. Sie wollte ihn abwehren, doch er fing ihre Hand vorher ein.
»Nicht, Ima. Lass mich das tun, bitte.« Sie legte die Hände in den Schoß und sah ihn an, auch als er mit dem Fetzen in ihrem Gesicht herumzureiben begann, weil das Blut zum Teil bereits getrocknet war.
»Wir sind einen langen Weg gegangen, Gérard«, bemerkte sie plötzlich.
Er hielt inne. »Ja, das sind wir«, sagte er und wartete. Als sie tief Luft holte, entspannte sich ihr Gesicht. Er lächelte leise und wischte weiter an den Blutspuren auf ihren Wangen. »Das sind wir …«
»Ich hab manchmal …« Sie biss sich auf die Lippen. »Ich hab manchmal überlegt, warum Gott mich wohl so herumschickt. Warum Er mich nirgends bleiben lässt. Warum schickt Er mich von einem Ort zum anderen?«
»Tut Er das?« Sie nickte stumm. Der Wind fuhr ihr durch das Haar. Gérard konnte sich nicht erinnern, sie jemals so niedergeschlagen und still erlebt zu haben, auch schon bevor sie den Fischer getötet hatte. Irgendetwas musste in dem Warägerlager noch geschehen sein - doch was zum Henker? Nur mit Mühe unterdrückte er hilflosen Zorn, der nichts ändern, aber vieles verschlimmern würde. Stattdessen nahm er ganz sanft ihre Hand.
»Wenn Er dich nicht herumgeschickt hätte, dann wären wir uns niemals begegnet.«
Um ihren Mund herum zuckte es, sie versuchte wohl ein Lächeln. »Schreckliche Vorstellung«, setzte er hinzu.
»Ja«, flüsterte sie. »Ja.«
»Er …« Sein Herz klopfte vor Glück. »Er hat dich … geschickt, Ima. Das ist ein Unterschied.« Und dann wagte er es - er reckte sich, strich über ihr nasses, wirres Haar und küsste sie auf den Mund. Ganz sacht nur, und genauso sacht hielt er ihren Kopf, weil er ihr Widerstreben spürte, als er sich näherte. Doch dann erwiderte sie den Kuss auf so schüchterne Art, dass ihm die Beine zitterten. Ihre Anspannung löste sich ein wenig, und es wurde ganz leicht, sie in die Arme zu nehmen - mehr tat er nicht. Sie wehrte sich auch nicht, als er sich neben sie setzte und sie weiter im Arm behielt. Mehr brauchte es nicht, nach allem, was
hinter ihr lag. Die Ruderbank war nicht bequem, und ein Riemenhalter bohrte sich in seinen Rücken, doch was war das gegen das Geschenk, sie so nah bei sich zu haben! Die wichtigsten Schlachten im Leben gewinnt man mit Geduld , hatte Trota von Salerno beim Abschied gesagt. Mehr als Ima im Arm zu halten brauchte es jetzt nicht.
»Was meinst du damit?«, fragte sie irgendwann.
»Er hat dich geschickt - du musst nur ankommen wollen«, raunte er in ihr nasses Haar. »Das ist nicht so schwer, wie du meinst.«
»Wenn ein Leben dazwischenliegt, ist es unmöglich.«
Ihr tiefer Seufzer machte ihm wieder Angst. Die Blutlache, die der Fischer hinterlassen hatte, sprach Bände, und vielleicht war es kein guter Gedanke, sie zu fragen, wie der Mann das Boot verlassen hatte. Irgendwann würde sie es ihm erzählen - es belastete sie, das spürte er.
»Gott wird dir vergeben, Ima«, wagte er schließlich zu sagen und schämte sich sofort für diesen seichten Trost, von dem er als Krieger
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