Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
Vom Netzwerk:
Wasser schwappte ins Boot, durchnässte sie von Kopf bis Fuß. Immer wieder neigte sich die Reling zur Wasseroberfläche, doch das Risiko ging sie ein, er drohte zu ertrinken. Dass sie ihm das Kettenhemd über den Kopf ziehen wollte, würde er sowieso nicht verstehen. Es bewegte sich nur schwerfällig, und Gérard war ihr keine Hilfe, weil er sich zu wehren begann, als er begriff, was sie vorhatte. Sein Protest ertrank in einer weiteren Welle. Gérard gab auf und ließ sich das Kettenhemd über den Kopf ziehen. Entsetzt sah er zu, wie es neben ihm in der Tiefe entschwand.
    Sie hing erschöpft über der Reling. Das nasse Haar hatte sich aus dem Zopf gelöst, die langen Strähnen verdeckten
ihre Züge wie ein Vorhang. Ihre Finger bluteten, ihr Blut vermischte sich mit dem des Fischers, welches das Boot inzwischen auf unheilbringende Weise eingekreist hatte, als sänne es auf Rache.
    Ima sprach nicht, als er sich schließlich ins Boot rollen ließ. Sie blieb einfach reglos sitzen. Weil er das nicht verstand und ihr Schweigen fürchtete, hielt er ebenfalls den Mund, obwohl ihm das Herz zersprang vor Sehnsucht, Dankbarkeit, Erleichterung - Liebe. Und er rührte sie auch nicht an. Sie hatte gerade einen Menschen getötet, und er konnte ihr weder Trost spenden noch helfen. Er war kein Priester. Er liebte sie nur, über alle Schuld und Taten hinweg, und bis ans Ende seiner Tage.
     
    Gott immerhin schien ein Einsehen zu haben. Er schob Wolken vor die Sonne und sorgte dafür, dass das Salz auf seiner Haut Gérard nicht vollends verbrannte. Hinter dem Segel lag er schaukelnd im sanften Wind - ein guter Platz zum Ausruhen. Ima hatte darauf bestanden, das Segel zu bewachen und ihm den Schatten zu überlassen. Um keinen Streit über die einzuschlagende Richtung und das Segeln überhaupt zu riskieren, ließ er sie gewähren, auch wenn es ihn dazu verdammte, sie nur anschauen zu können. Aber auch das tat gut, ganz egal, wie abgerissen sie gerade aussah und ob das Blut des Getöteten an ihr heruntertropfte. Sie hätte sowieso nicht zugelassen, dass er das Blut aus ihrem Gesicht wischte. Und nein - es störte ihn nicht, sie war auch so wunderschön.
    Er zwang sich zu vergessen, in welch aussichtsloser Lage sie hier waren. Kein Land in Sicht, kein Schiff - nichts. Nur Ima wusste, wohin sie wollte. Mit der Rechten strich sie immer wieder über das Segel und summte vor sich hin. Er runzelte die Stirn. Vielleicht narrte ihn die Sonne - aber drehte sich das Segel da gerade? Gehorchte es etwa dieser
merkwürdigen Hand? Sprach sie mit dem Segel? Irgendetwas machte sie da doch mit dem Segel … Er hatte niemals auch nur im Entferntesten daran geglaubt, dass Ima von Lindisfarne irgendwelche Kräfte haben könnte, obwohl dieser Finger ihn irritierte, seit er sie kannte. Er war ihm auch immer lebendiger als die anderen Finger vorgekommen, und manchmal hatte er Gänsehaut davon bekommen, wenn sie bei ihm lag und ihn damit streichelte. Das hatte sie getan, nur mit diesem Finger, und seine Narben hatten danach nicht mehr geschmerzt. Daran erinnerte er sich plötzlich. Doch das Segel? Sicher narrte ihn die Sonne. Sie war keine Zauberin. Sie wusste einfach nur, wohin sie segelte.
    Irgendwie stimmte ihn das alles friedlich. Ihr Anblick, die Geschichte mit der Hand am Segel, die wohltuende Wärme im Schatten, ein bisschen Sehnsucht, mit ihr zusammenzuliegen - ein bisschen mehr Sehnsucht, sanfter, sehnender, ziehender Schmerz im Unterleib … das Boot unter ihm lief langsam voll. Nun, wenn sie ihr Ziel nicht erreichten, würden sie zusammen sterben. Dicht an dicht, beieinander, und nichts würde sie seinen Armen noch entreißen können. Über dieser Aussicht und ihre schlanke Gestalt im Gedächtnis, schlummerte er weg.
    Als die Sonne tiefer sank, versuchte er dann doch, das Wasser aus dem Boot zu schöpfen. Es stand ihm mittlerweile bis zur Wade, und es schien Ima immer noch nicht zu stören. Er verstand sie überhaupt nicht mehr - er verstand nicht, was in ihrem Kopf vorging. War sie über den Ereignissen verrückt geworden? Hatte der tote Herzog ihren Geist mit sich gerissen? Wie ein Besessener schöpfte er mit dem kleinen Eimer Wasser, und Gott gefiel es, ihn zu ärgern, weil sich der Wasserspiegel in keiner Weise senkte.
    »Wir ertrinken nicht, Gérard«, sagte sie da. Ihr Blick ruhte auf seinem hochroten Gesicht.

    »Ich denke schon«, knirschte er, mit erwachendem Ärger und Lebenswillen.
    »Wir ertrinken nicht«, bekräftigte sie, und ihre Hand

Weitere Kostenlose Bücher