Die Totenfrau des Herzogs
zusammen. Jedes weitere Zögern würde tödlich enden. Flink kroch sie ganz unter dem Segel hervor, zerriss dabei den Rock noch weiter an der kaputten Bank. Der Fischer ließ den Riemen fallen, voller Erwartung, jetzt von Gold und halb nackter Frauengunst überschüttet zu werden.
Ima war eine stumme Kämpferin. Rom hatte sie Schläue und Berechnung gelehrt. Die Hand auf der Reling war noch da. Halte durch, flüsterte sie ihm stumm zu, halte durch! Statt anzugreifen, wartete sie, und das über der Brust verrutschte Kleid schürte nur die Glut. Weiß lockte ihr Busen im Sonnenlicht. Der Fischer mochte nicht zögern, und das Denken war wohl auch einem schwellenden Schwanz zum Opfer gefallen. In seiner Gier nach Weiberfleisch fiel er förmlich in ihr Messer hinein, als er sie bei den Schultern packte, um das Gold aus ihr herauszuschütteln, bevor er sie nahm. Mit aller Kraft stieß sie es ihm von unten in die Brust, wie man es zu tun pflegt, wenn man ein Pferd schlachtet.
»Hure!«, gurgelte er entsetzt und klammerte sich an sie wie ein Ertrinkender. »Hure, verdammte! Verdammte Hure! Sollst mit mir sterben!« Blut lief ihm über die dünnen Lippen, und er spuckte es ihr ins Gesicht. Sie rangen miteinander, das zerrissene Kleid behinderte sie, genauso wie die zweite Ruderbank zwischen ihnen. Es gelang ihr, ein zweites Mal zuzustechen, diesmal mitten in den Leib. Er
schrie qualvoll neben ihrem Ohr. Seine Faust ging an ihre Kehle, er schaffte es, noch zuzudrücken.
Ich sterbe, schoss es Ima durch den Kopf. Reflexartig warf sie sich auf den Mann, stieß ihm dabei das Messer noch tiefer in den Leib. Aufjaulend ließ er ihre Kehle los und stürzte hintenüber. Er landete auf den Trümmern der Ruderbank, angelte nach ihr, während in einer pulsierenden Fontäne Blut aus den Lumpen spritzte, weil Ima die große Lebensader getroffen hatte. Keuchend stieg sie über die zerborstene Bank, um es zu Ende zu bringen. Sie hob seine Beine an und ließ ihn über Bord rutschen. Dankend schäumte das Wasser auf und färbte sich über der Opfergabe hellrot. Ima beugte sich über die Reling. Mit einem Gurgeln verschwand der Fischer, und nur der rote Fleck blieb auf dem Wasser zurück. Aber wo war Gérard? Seine Hand, eben noch auf der Reling, war verschwunden …
»Gérard!«, brüllte Ima auf.
Längst war die Küste ihren Blicken entschwunden, weil der Dunst auch den Horizont verschluckt hatte. Genau wie Gérard - kein Zeichen von ihm, keine Bewegung im Wasser, nichts. Tränen schossen ihr in die Augen. Konnte das sein? War es zu spät? War sie jetzt allein auf dem Meer …? Stumm suchte sie das Wasser ab, jeden kleinen Kräusel, jede Welle, die anders als ihre Schwestern daherkam, jedes neue Geräusch, und das Salz formte ihr eine Maske aus Entsetzen und Furcht auf das Gesicht, die außer dem Tod niemand würde abwaschen können …
Das Boot schwankte, das Steuerruder bewegte sich wie von selbst, und dann krallte sich eine Hand an der Reling fest. Gérard hatte es geschafft, sich am Boot hochzukämpfen, und hangelte sich zollweise an der Reling entlang. Plötzlich rutschte die Hand ab. Schluchzend riss sie den Riemen vom Boden und warf ihn aufs Wasser, hätte ihn dabei beinah verloren. Sie versuchte, ihn in seine Richtung
zu lenken, ohne selbst über Bord zu gehen. Mit dem ganzen Oberkörper über der Reling hängend, hielt sie den Riemen fest und schrie auf vor Glück, als es ihm gelang, danach zu greifen. Hustend und spuckend tauchte sein Kopf aus den Wellen auf, böse Flüche tanzten über das Wasser. Jeder einzelne Fluch war ein Fest für ihre Ohren, bewies er doch, dass er lebte! Sein Gewicht auf dem Riemen brachte das Boot wild zum Schaukeln, der Riemen wog so schwer, als würden zehn Männer daran ziehen, das würde sie niemals schaffen! Sein Kettenhemd zog ihn unweigerlich in die Tiefe, sie würde niemals die Kraft aufbringen, ihn damit ins Boot zu ziehen! Als er sich schließlich an dem Riemen zum Boot vorarbeitete - quälend langsam, Griff für Griff -, angelte sie nur nach dem Hemd. Schadhafte Metallglieder bohrten sich in ihre Finger und rissen ihr die Haut auf, und Meerwasser verbiss sich in die Wunden wie ein gieriges Tier. Ihre Nägel brachen ab beim Versuch, das Metall in Falten zu legen, um es besser greifen zu können. Es saß eng am Körper, und es war so schwer, dass es sich kaum bewegte. »Was tust du!«, brüllte er. Doch keinen Ton hörte das Meer von ihr, keinen Fluch, kein Stöhnen - nur angestrengtes Atmen.
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