Die Totenfrau des Herzogs
Sein
Gesicht kam ihr in den Sinn und sein freundliches Lächeln, welches so sehr an den verstorbenen Vater erinnerte. Das andere - dass sie noch ein Leben gerettet hatte und unter welchen Umständen -, das verdrängte sie. Dieses Schiff bot keinen Platz dafür, ihr Herz würde warten müssen. Sie seufzte.
Alles würde gut werden, der Geist des Guiscard würde seine Ruhe finden.
Thierry schloss sie in die Arme und zog sie in seinen Schoß.
Das Fischerboot schaukelte noch eine ganze Weile hinter dem Schiff der Herzogin her - jemand hatte vergessen, das Seil zu kappen, mit dem man sie eingesammelt hatte.
Gérard hockte im Schatten des Segels auf einer Ruderbank und hatte die Unterarme auf die Reling gelegt. Sein bärtiges Kinn drückte ein bizarres Muster in den Handrücken. Träge legte er den Kopf schließlich auf die Hand und hielt sich mit seinem Blick am Boot fest, um sich in den Wellen nicht wieder zu verlieren. Die erste der zertrümmerten Ruderbänke war bereits im steigenden Wasser verschwunden - es würde nicht mehr lange dauern. Unruhig flatterte das kleine Segel. Vielleicht fürchtete es sich ohne ihre Hand.
Sicher fürchtete es sich. Er rief sich ihre Hand ins Gedächtnis, wie sich ihre Berührung anfühlte und wie sie Ruhe nach dem Sturm bringen konnte.
Die nächste Welle kam mit ernsten Absichten. Ihre weißen Finger krabbelten durch eine Bö heran, erklommen die Reling des kleinen Bootes und nahmen es ein. Es kippte zur Seite, und der Mast brach mit einem Knacken entzwei, als er auf das Wasser klatschte. Erst mochte er sich nicht vom Rumpf trennen, doch dem Sog der Tiefe konnte sich keine Planke entziehen - das Boot versank unter ihm ohne einen
Laut. Traurig schwamm das ausgebreitete Segel aufs Meer hinaus.
Gérard sah ihm hinterher.
Mit dem Fischerboot war eine Geschichte untergegangen. Die Geschichte von der Hand am Segel blieb.
ELFTES KAPITEL
Der einzige Unterschied
zwischen dem Spiegel und dem Herzen ist:
Das Herz versteckt Geheimnisse.
Der Spiegel tut es nicht.
(Rumi)
F liegen umtanzten den grauen Kopf des alten Recken. Sein immer noch volles Haar hing ungepflegt und strähnig bis auf die zusammengefallenen Schultern herab. Nichts erinnerte mehr an den weisen Krieger, der dem Guiscard einst zur Seite gestanden hatte.
»Er hat gekämpft wie ein Mann, mon seignur «, sagte Ima leise. Es gehörte sich nicht, ihn anzufassen - sie tat es trotzdem, und sie fühlte durch das schmierige Gambeson, wie müde vom Leben er war.
»Gegen wen?«, flüsterte Marc de Neuville.
»Er hat gekämpft wie ein Mann«, wiederholte Ima langsam. Marc hob den Kopf. In seinen wässrigen Augen las sie eine Ahnung, was in Wirklichkeit geschehen sein könnte. Möglicherweise hatte sich herumgesprochen, dass der junge Graf von Tarent in der Nähe gewesen war und wohin sein Sohn Marius von Bundicia aus so plötzlich verschwunden war. Es gab immer Lauscher an Zeltwänden, vielleicht hatte sich die Herzogin in ihrer Rachsucht auch selbst verraten. Der Blick des alten Kämpen war umgeschlagen in tiefe Trauer um den Sohn und in noch größeres Leid, weil er wusste, dass die Raben unehrenhafte Schlachtfelder meiden …
»Er starb wie ein Mann, mon seignur «, flüsterte sie noch einmal und schämte sich für diese Lüge.
De Neuville tätschelte ihren Arm. »Ja, Mädchen«, sagte er mühsam, »ja, so wird es wohl gewesen sein.« Und als er aufstand, war es, als hingen tausend Bleikugeln an seinem Körper, die ihn zur Erde hinabzogen - in den Staub, wo sein Sohn einsam verblutet war und wo Scham auch den Alten begraben würde.
Ima sah ihm nach.
Es waren Tage des Verlusts - Gott sparte niemanden aus.
Ziellos wanderte sie durch das Lager von Kephalonia, an dessen Ufer sie gegen Abend angelegt hatten. Die Herzogin hatte man in einer rasch herbeigeholten Sänfte vom Schiff geschafft. Ima war ihr nicht nachgeeilt, niemand hatte nach ihr verlangt, also war ihr Fieber wohl gewichen. Vielleicht ließ sie sich weiter mit Weihwasser behandeln. Es sähe ihr ähnlich, in ihrem Zorn auf Ima Gott selbst zu versuchen. Ima trat ein Steinchen aus dem Weg und lachte trocken auf. Vermutlich würde es der Salernitanerin auch noch gelingen, den Allmächtigen zu beeindrucken und den Erfolg für ihre Belange einzusetzen. Und würde sie allein vom Weihwasser genesen, würde alle Welt zu hören bekommen, wie wirksam Gottes barmherzige Hilfe gewesen sei und dass sie kein bisschen bitter geschmeckt habe, anders als das, was sie
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