Die Totenfrau des Herzogs
Tiegel aus Alabaster gestrichen. Ima betupfte die
blutverkrusteten Wangen mit Wasser, bis der Schorf weich wurde und sich abziehen ließ. Er gab das Ausmaß der Verwüstung preis: Die Furchen zogen sich über die fein geschnittenen Wangen bis hinunter zum Mund. Ima bestrich die tiefsten Furchen hauchdünn mit einer Salbe aus Ringelblume und Alchemilla, dann trug sie die weiße Paste auf, die dem Gesicht der Herzogin etwas Geisterhaftes und noch Unnahbareres gab.
»Setzt Euch ans Kohlefeuer, ma dame , und seht zu, dass die Wärme an Euer Gesicht kommt.«
»Warum tut Ihr das, Ima? Ich habe Euch nicht darum gebeten.«
Die Frage kam überraschend. Ima sah ihr in die müden Augen.
»Weil …« Sicaildis von Apulien war eine bedeutende Frau - das wurde ihr schlagartig klar. Keine normale Gattin. Sie war Herrscherin, und Ima fühlte eine ungute Spannung in sich, wenn sie an die nächsten Tage dachte. Diese Frau wusste, wie man ein Schwert trug, und sicher auch, wie man damit umging. Ihr Kampf war noch nicht zu Ende. Die Erkenntnis kam wie ein kalter Schauer über sie, und sie verspürte Angst dabei.
»Weil sie Euch anschauen werden und Robert Guiscards stolze Herzogin sehen wollen. Ihr habt den Stab aus seiner Hand übernommen.« Das war es. Sie biss sich auf die Lippen. Nicht der Borsa, obwohl rechtmäßiger Erbe und erwachsen genug - Sicaildis war die Sachwalterin des Reiches. Und sie ahnte das. Stumm neigte sie den Kopf, als ob diese Last sie niederdrückte.
»Seid ihnen das, was sie erwarten, ma dame «, sagte Ima leise. »Seid ihnen die Herrscherin, bis sich alle Dinge geordnet haben.« Die Herzogin ließ alles mit sich geschehen, sogar dass Ima die Geschwüre ihrer Beine aufs Neue verband. Keinen Schmerzenslaut gab sie von sich, obwohl es
sie peinigen musste. Vertrauensvoll legte sie ihre Kraft und Energie in Imas Hände und war vielleicht zum letzten Mal nichts als ein zutiefst trauerndes Weib, das damit konfrontiert worden war, dass es mit seinem verstorbenen Gatten auf einer Insel fernab der Heimat saß und nicht wusste, wie es weitergehen sollte.
Ima räumte die Tiegel zusammen und durchsuchte ihren Beutel. »Werdet Ihr ihn hier bestatten, ma dame ?«, fragte sie irgendwann leise; zu spät fiel ihr ein, dass sich diese Frage nicht schickte. Das Gesicht unter der weißen Paste blieb ungerührt. Vielleicht - zum Glück? - hatte sie die Frage nicht verstanden. Doch, das hatte sie. Ihre schweren Lider hoben sich, und die müden Augen der Langobardin suchten Imas Blick.
»Der Herzog von Apulien wird in Apulien bestattet werden. Wir werden ihn nach Venosa überführen - das war sein Wunsch. Im Kloster von Venosa wird seine Grabstätte sein.«
»Aber …«
Sicaildis’ Blick hatte die gewohnte Schärfe zurückerlangt, vielleicht hatte die weiße Paste dafür gesorgt. »Ihr seid seine Totenfrau. Ihr werdet dafür sorgen, dass er die Reise antreten kann, ohne … ohne …« Sie verstummte.
»Ohne dass er verwest.« Ima wunderte sich selbst, mit welcher Härte sie das aussprach. Offenbar lernte man das bei der Herzogin. Sie nickte denn auch weitgehend ungerührt von der sehr irdischen Vorstellung.
» Ma dame , ich werde mein Bestes geben.« Gegenwehr oder Argumente waren zwecklos, und die Zeit des Diskutierens war sowieso vorüber. Ab jetzt würden Sonne und Hitze einen grausigen Takt vorgeben.
Es hatte etwas von einem heiligen Akt, auch wenn das ein eigenartiger Gedanke war. Ein Toter ist nur die Erinnerung
an einen Menschen, nicht mehr als sein Echo. Man kann ihn zwar anfassen, aber nicht mehr begreifen, weil er sich nicht mehr anfühlt wie ein Mensch. Alles, was an den Menschen erinnert, zerfällt in dem Moment, wenn man den Toten berührt. Das Gebet hilft in diesen Momenten, die Brücke zwischen Leben und Tod zu schlagen. Ima waren keine Worte gegeben, sie verrichtete ihre Arbeit stumm.
Der Herzog von Apulien lag nackt unter einem sauberen Leintuch - das Hemd hatte sie ihm vom Leib schneiden müssen, weil er bereits zu steif war und nicht mehr bewegt werden konnte. Sie zog das Leintuch weg. Süßlicher Leichengeruch stieg ihr in die Nase. Sie wischte sich den Schweiß von der Stirn. Bei der Hitze würde sein Körper schon morgen zu stinken beginnen …
Dem Waschwasser hatte sie Myrrhe und Lavendel zugemischt, und vom Kohlebecken aus verbreitete Styrax seinen warmen Duft und lenkte von der wachsenden Hitze ab. Die Myrrhe im Wasser erfrischte auch Imas Haut, dennoch fühlte es sich seltsam an, mit dem
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