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Die Totenfrau des Herzogs

Titel: Die Totenfrau des Herzogs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Trodler
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sich falsche Ventile suchen.
    »Hast du Hunger?«
    »Nein.«
    Seit Stunden hockten sie hier draußen, wieder gegen die Wand eines Zeltes gelehnt, und starrten in den sternklaren Himmel. Die Stimme der Nachtigall hatte sie eine ganze Weile begleitet, und vielleicht war Robert wirklich von ihr in den Schlaf gesungen worden. In der Unruhe des Zeltes hatte man ihr feines Lied nicht hören können, doch hier draußen war es wie wohltuend kühlende Tropfen über ihre Gesichter geperlt.
    Der Wind hatte auch keine Abkühlung gebracht, er war ausschließlich gekommen, um eine Seele abzuholen. Die Hitze des vergangenen Tages drückte immer noch auf Atem und Auge, und Mattigkeit wuchs wie ein Geschwür durch den Körper. Gérard fragte sich, wie er in einer solchen Hitze eigentlich hatte kämpfen können. Letztes Jahr. Als der Herzog noch lebte und sein Heer hatte zusammenhalten und anspornen können. Als er das Gefäß der Unbesiegbarkeit über sie alle vergossen und von seiner funkensprühenden Stärke abgegeben hatte - als das apulische Heer noch einen Anführer gehabt und sich unbesiegbar gefühlt hatte.
    »Was jetzt wohl wird?«, fragte er leise in die Nacht hinaus.
    Sie verstand, was er meinte. »Sie sind seine Söhne. Sie werden sich nicht mit Brosamen zufriedengeben. Apulien gehört in einen Beutel …«
    »… die Frage ist, in wessen Beutel«, vollendete er den Satz und bewunderte im Stillen ihren scharfen Verstand.
    »Und wer den Beutel aufhält«, flüsterte sie. Unmerklich nickte er. Jeder wusste, dass die Herzogin wie eine Löwin für ihren Sohn Roger Borsa kämpfte. War es doch kein Zufall,
dass Bohemund, der Sohn aus erster Ehe, es nicht ans Sterbelager seines Vaters geschafft hatte?
    »Die Welt wird erbeben, Gérard.« Ihre Worte flogen in die Nacht hinaus wie kleine Vögel, voller Furcht, dem Habicht des Bruderkrieges zum Opfer zu fallen. Dann sank ihr Kopf schutzsuchend an seine Schulter. Und Gérard wagte es endlich, legte beide Arme um sie und zog sie an seine Brust - niemand sah das hier draußen in der Dunkelheit, niemand würde es vermuten.
    Und niemand sollte es ihm verwehren.

FÜNFTES KAPITEL
    Es fährt alles an einen Ort.
Es ist alles aus Staub geworden und wird wieder zu Staub.
    (Prediger 3,20)
     
     
    Als die Morgensonne ihr Hitzezelt über Kephalonia ausbreitete, erwachte Ima aus unruhigem Schlummer, gerade noch rechtzeitig, bevor die Sonnenstrahlen an ihrem Kleid hochkrabbeln konnten. Sie rutschte ein wenig mehr in den schützenden Schatten. Gérard lag dicht neben ihr auf der Seite, er schlief noch. Seine Züge waren weich und entspannt, wie man es tagsüber nie zu Gesicht bekam. Sie lächelte bei der Entdeckung, dass der wilde Krieger auch ein Herz aus Honig besaß, welches er offenbar nur mit ihr teilte. Und ihr Herz tat wieder einen Satz.
    Die Plane am Herzogszelt schaukelte, dann wurde sie beiseitegehalten. Gestalten traten ans Licht, wankend, krumm vom Hocken und unsicher auf den Beinen, denn das Fass Bier war in der Nacht dann doch geleert worden. Es war zwar nur Dünnbier gewesen, doch stieg auch das zu Kopf, wenn man dazu nichts aß. Und man hatte nichts gegessen, des Herzogs Küchenmeister war in tiefer Trauer gewesen und hatte sich geweigert, für die ihm Anvertrauten das Feuer zu schüren und einen Kessel zu füllen, während sein Herr im Sterben lag. Der Koch der Herzogin hätte wohl ein Essen zubereitet, doch duldeten die Priester ihn nicht in ihrer Nähe. Hassan hatte sich daraufhin beleidigt in das verwaiste Damenzelt zurückgezogen.

    Ima setzte sich auf. Sie staunte, wie viele Menschen in dem engen Zelt gewesen waren. Als niemand mehr kam, räkelte sie sich heimlich, damit niemand es sah - immerhin gab es hier sonst keine Weiber -, und stand auf. Thierry musste noch drinnen sein - und die Herzogin. Allein ihretwegen befand sie sich schließlich an diesem ungemütlichen, unpassenden Ort. Mit einem bedauernden Blick auf ihren Gefährten im Staub machte sie sich auf zum Zelt.
    »Na, junge Frau«, begrüßte der eine Wächter sie verschlafen, »heute wird’s ein wenig lauter. Die Männer werden den Herzog betrauern wollen.« Vielsagend klopfte er auf seinen Schild. Ima verstand nicht, und er lachte wehmütig.
    Im Zelt stank es fürchterlich. Jeder Anwesende hatte seine Markierung hinterlassen, dazu die Gerüche der Nacht aus schalen Mündern, gepaart mit dem Dunst, den der Tote an die beginnende Hitze abgab, über dem Ganzen eine Glocke aus Weihrauch und Salbei, vermischt mit dem

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