Die Totenfrau des Herzogs
Fellstück über den hart gewordenen Körper zu waschen. Sowie der Atem den Körper verlassen hatte, war dieser zusammengefallen, und je länger er lag, desto weniger Ähnlichkeit hatte er mit dem Guiscard, den Ima als Herrscher kennengelernt hatte. Langsam fuhr sie über die einst so starken Arme, an den Rippen entlang den Brustkorb hinauf und die haarige Spur hinunter zur Leiste. Die Haare eines Toten markieren auf seltsame Art das Ende des Lebens: Wo sich die Haut noch nach Mensch anfühlt, haben die Haare etwas Unechtes bekommen und ihre menschliche Note verloren. Schnell verbarg Ima ihre Finger in dem Fellfetzen, um die Haare nicht berühren zu müssen. Als sie den Guiscard umdrehte, um seinen Rücken zu waschen, seufzte er. Wie vom Donner gerührt hob die Herzogin den Kopf.
»Er lebt, Ima. Er lebt noch?«, flüsterte sie heiser.
»Nein, ma dame «, sagte Ima traurig. »Der letzte Seufzer ist für die Totenträger. Glaubt mir.« Schnell ließ sie ihn wieder auf den Rücken gleiten - die wunden Stellen vom Liegen sollte Sicaildis nicht ansehen müssen. Sie waren in den Stunden seines Sterbens entstanden, als der schwache Körper sich bereits dem Verfall hatte ergeben müssen. Sicaildis schaute noch einmal mit gerecktem Hals, dann wandte sie sich ab, weil sie wohl begriff, dass dies nicht ihr Geschäft war. Ima warf ihr einen mitleidigen Blick zu. Am liebsten wäre ihr gewesen, wenn die Herzogin das Zelt verlassen hätte, doch dazu war sie nicht bereit. Stumm saß die Verschleierte am Kohlefeuer, und vielleicht weinte sie um ihren Mann, der ihr ein zweites Mal Lebewohl gesagt zu haben schien.
Die letzten Handgriffe waren schnell getan. Der Tote bekam ein frisches Hemd über den Körper gelegt und wurde mit Leintüchern und einer prunkvoll bestickten Decke bedeckt, die Ima in der Truhe gefunden hatte. Ein wenig war sie verwundert, solches in einem provisorischen Frontlager zu entdecken. Sicher war sie Raubgut und stammte aus dem Haus einer reichen Dame - doch nun sollte die Decke einen trefflichen Platz erhalten. Jeder, der hereintrat, um an seinem Lager zu beten, sollte erkennen, wen Gott da in Empfang genommen hatte.
Die Priester liebten Prachtentfaltung am Leichnam nicht - für Robert Guiscard erschien es Ima jedoch genau richtig so.
Thierry zumindest hatte nichts dagegen einzuwenden. Er segnete den Leichnam und begann einen Psalm, um die Geister der Trauer zu besänftigen: »In Deo tantum quiesce, anima mea, quoniam ab ipso patientia mea. Verumtamen ipse Deus meus et salutare meum, praesidium meum; non movebor.«
Sie kannte diesen Psalm von daheim. Ihr aufgewühltes
Herz kam zur Ruhe, weil mit den Worten gute Erinnerungen hochstiegen. Und irgendwie half Thierrys wunderschöne Singstimme, die Düsternis im Zelt ein wenig heller zu machen. »In Deo salutare meum et gloria mea; Deus fortitudinis meae, et refugium meum in Deo est.« Ima sank auf den Schemel und legte die Hände in den Schoß. Es war vollbracht. Friede kam über sie. »Sperate in eo, omnis congregatio populi, effundite coram illo corda vestra; Deus refugium nobis.«
Friede lag über dem Zelt.
»Mutter, draußen erheben sich die Männer! Was soll ich tun?« Mit großen, eiligen Schritten kam Roger Borsa in das Zelt gestürmt, die Hand am Schwert, als hätte er eben noch im Sinn gehabt zu kämpfen. »Sag mir, was soll ich tun?«
Sicaildis brauchte einen Moment, um vom Kohlefeuer in die Realität zurückzufinden, und starrte ihren Sohn durch den Schleier hindurch an. Ihre Augen funkelten ärgerlich. »Was redest du da? Die Männer erheben sich? Wer denn? Und gegen wen?«
»Guilleaume und Hugo machen Stimmung gegen mich, Mutter. Sie sammeln Männer, um die Truppe zu entzweien!«
Ima hielt inne. Selten hatten erwachsene Männer eine derartige Verzweiflung in der Stimme - fast erwartete sie das Jüngste Gericht im Eingang. Doch da stand nur der Borsa, die Hand an der Waffe, die Stirn in Falten, und spuckte auf den Boden. Sein riesiger Körper füllte das Zelt, die Not floss bis in die Ecken. Roger Borsa war ein unreifer Krieger - auf dem Pferd im Kampf ein gnadenloser Schlächter, das hatte sie in Rom erlebt, doch wenn es um Entscheidungen ging, stieg er vom Pferd und ließ andere vortreten. Wie gerade jetzt. Der Krug klapperte. Bier gluckerte
durch seine Kehle, dann malmte sein gewaltiger Kiefer das hart gewordene Brot.
»Was soll ich tun, Mutter?«, fragte er mit vollem Mund und stach mit dem Schwert immer wieder in den sandigen Boden.
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