Die Totenfrau des Herzogs
gerstigen Geruch aus dem Bierfass, welches man nachts noch ins Zelt gerollt hatte - Ima traf es wie eine Faust. Sie holte noch einmal tief Luft und trat ins Innere des Zeltes. Durch die Schwaden der Räucherung erkannte sie Sicaildis, die aufrecht wie eine Statue auf dem Schemel neben Roberts Lager saß, unverändert seit der Nacht, die Hände im Schoß gefaltet. Ein leichter Schleier hing über ihrem Kopf und verbarg die Trauer und deren Auswüchse. Ima ahnte, was sie unter dem Schleier finden würde.
Bruder Thierry kam aus dem Altarwinkel herangeeilt und fasste ihre Hand. Die anderen Mönche hatten das Zelt verlassen, nach dem Ableben wusste wohl niemand so recht, was der nächste Schritt sein sollte, denn nichts war in diesem Fall wie üblich gewesen.
Die Herzogin indes wusste es, noch ehe Thierry den Mund aufmachen konnte. Vermutlich hatte sie seit Stunden darüber nachgegrübelt.
»Ihr werdet die Totenfrau sein, Ima von Lindisfarne«, kam es unter dem Schleier hervor. »Ihr werdet ihm den letzten Dienst erweisen. Danach seid Ihr frei.«
Ima traute ihren Ohren nicht. Frei? Robert Guiscard verschwand aus ihrem Blickfeld, die Geringschätzung der Herzogin versetzte ihr einen bösen Hieb. Frei!
»Frei, ma dame ?« Sie schlich auf Sicaildis zu, den jungen Mönch hinter sich herziehend. Maßloser Ärger wollte durch ihren Mund schießen; mit Macht unterdrückte sie ihn. » Ma dame , Ihr irrt. Ich bin frei. Ihr wisst das.« Wie stellte diese Frau es nur an, sie mit einem einzigen Wort so zu verärgern? Jedes Mal? Lächerliche Einbildung, auch nur einen Funken Mitgefühl empfunden zu haben! Lächerlich auch, sich eingebildet zu haben, die Herzogin achte sie!
Die Langobardin wandte ihr den Kopf zu und hob den Schleier. Ima dankte Gott dafür, dass sie bereits mehrfach gesehen hatte, was salernitanische Frauen mit ihrem Gesicht veranstalten, wenn sie trauern. Über dem Anblick rückte ihr Ärger kurz in den Hintergrund. Das Blut auf den Wangen war zu düsteren Klumpen getrocknet, darunter war die Haut geschwollen. Bis auf die Brust war es getropft und hatte ihr helles Kleid gezeichnet. Ihre Finger nägel waren schwarz, ihr Haar hing wirr und verfilzt bis auf die Hüfte herab.
Kein Apulier konnte dem Herzog größeren Respekt erweisen als dieses Eheweib in seinem öffentlichen Schmerz. Ihr nächtliches Geschrei und ihre Tränen hatten das Zelt erfüllt und für die Trauer der anderen den Ton angegeben - jetzt saß sie ruhig da und ordnete ihre Gedanken. Und das Erste, was kam, war ein Befehl wie an eine Dienstbotin. Jegliche Schwäche, die Sicaildis von Salerno zeigte, lag stets gebettet auf einer dicken Schicht Hochmut, stellte Ima wütend fest.
» Ma dame , Eure Dienerin kann …«
»Ich möchte, dass Ihr das tut. Er hat es verdient.«
Das kam etwas freundlicher, und Ima verstand, worum es ihr ging: Es war für Sicaildis eine Art Ehrerweisung, wenn die Ärztin diesen Dienst versah, und nicht die Magd, die zusammengekauert in der Ecke hockte und den Toten angsterfüllt ansah. Es ging nicht um die Totenwäsche - es ging um Imas Hände und dass die hochgeborene Ärztin von Salerno diesen Dienst übernahm. Sein langjähriger Vertrauter und Freund, der Erzbischof von Bari, wäre Sicaildis sicher noch lieber gewesen, doch der saß in weiter Ferne. Imas Ärger verblasste ein wenig, obwohl ihr natürlich klar war, dass sie dennoch benutzt wurde.
»Lasst mich zuerst Euer Gesicht versorgen«, sagte sie dennoch mit fester Stimme.
»Ich bat Euch …«
»Erst die Lebenden, dann die Toten, ma dame . Es wird Euch Kraft schenken für das, was kommt, glaubt mir.«
»Häretische Worte!« Sicaildis sah sie scharf von der Seite an. »Ihr seid doch ein Zauberweib …«
Ima beugte sich vor und schaute ihr in die rot geränderten Augen. »Vielleicht bin ich das, ma dame . In jedem Fall will ich Euer Bestes, weiter nichts.«
»Ihr seid dreist.« Sicaildis kniff die Augen zusammen. »Wenn Ihr nicht Trotas Schülerin wärt …«
»Ist es gut für Euch, dass ich Trotas Schülerin bin? Oder ist es gut für mich, ma dame ?« Ima richtete sich auf. Es gab auch jetzt keinen Grund, sich vor der Herzogin kleinzumachen. Das spürte diese, und ihre Lippen kräuselten sich vor unterdrücktem Ärger. Mit einer winzigen Kopfbewegung erlaubte sie Ima anzufangen.
Die alte Salernitanerin hatte trotz des plötzlichen Aufbruchs ihrer Schülerin genau gewusst, was für den Anlass gebraucht werden würde, und die fertig gemischte Paste in einen
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