Die Totenfrau des Herzogs
»Sie vertrauen mir nicht. Sie wollen mich absetzen - sie wollen Bohemund als Herzog. Bohemund.« Der Name des verhassten Halbbruders verließ seinen Mund in einem Schwall von Gift. Bohemund. Der trotz seiner Unerfahrenheit die Grenzen des Reiches hatte verteidigen dürfen. Der tapfere ältere Halbbruder, den selbst die Feinde achteten, weil Gott ihm das Führen in die Wiege gelegt hatte. Mit dessen Namen auf den Lippen der Vater von ihnen gegangen war, obwohl Roger schon lange als Erbe bestimmt war und obwohl Bohemund in Makedonien kläglich versagt und durch falsche Entscheidungen beinah sämtliche Eroberungen auf dem Festland verspielt hatte. Ihm hatte der Guiscard zu Hilfe eilen wollen, hatte von Kephalonia aus zu ihm reisen wollen - und hatte den Weg übers Meer nicht mehr geschafft. Der Groll des Erben sprang Ima regelrecht an. Und irgendwie fühlte es sich so an, als ob der Geist des Toten zurückgekehrt war. Da war etwas im Zelt - etwas Düsteres, Unzufriedenes. Der Guiscard hatte etwas gehört und konnte sich offenbar doch nicht zur Ruhe legen … Ima runzelte die Stirn.
»Stell dir nur vor, sie wollen mich absetzen!« Roger leerte den Becher in einem Zug.
Sicaildis witterte die Gefahr. »Wer steht zu dir?«, fragte sie knapp und reckte sich. »Hast du Unterstützung?«
»Robert ist bei mir. Hugo …« Er zögerte, überlegte.
»Das ist zu wenig.« Sicaildis stand auf und verließ das Kohlefeuer. Der Herzog war nun endgültig tot, es zählten die Lebenden. Ihr Sohn allein zählte. Ihr Sohn, den sie, wie alle wussten, abgöttisch liebte, obwohl sie das niemals öffentlich zeigte.
Friede war nur eine Stimmung, weiter nichts.
»Ist mein Gesicht fertig? Kann es abgewaschen werden?« Sie zog sich den Schleier vom Kopf und fuhr einmal mit der Hand über ihr wirres Haar, als überlegte sie, welche Frisur … und entschied dann, es so zu belassen. Natürlich war es nicht fertig, doch ahnte Ima, dass die hässlichen Narben unter den Kriegern für größten Eindruck sorgen würden.
Friedliche Trauer existierte nur im Kopf. Das Auge nahm andere Dinge wahr und baute sich daraus ein Bild.
In diesem Fall kamen die Narben der Trauer gerade recht. Sicaildis erlaubte Ima so gerade, die weiße Paste abzuwaschen, verweigerte jedoch das pflegende Öl. Ihre feine Haut sollte sich wehren, sollte kriegerisch zum Betrachter sein und das Auge des Aufbegehrenden beschämen. Ima verstand, zu welchem Feldzug die Herzogin aufbrach. Ihr Gesicht zeigte dafür die perfekte Zerstörung. Und so tupfte sie es nur trocken und zog ihr die Haare zurecht.
Sicaildis drehte sich einmal um sich selbst, um zu schauen, wer bei ihr stand. »Ihr werdet mich begleiten. Du, mein Sohn, meine Ärztin, mein Beichtvater, und holt mir zwei Männer in Waffen. Nein, vier. Holt mir vier Getreue. Mein Mantel!« Das Mädchen sprang mit dem gewünschten Kleidungsstück herbei: schlicht, wie es einer Trauernden zukam, und durch das edle Tuch dennoch ihren hohen Rang betonend. Die langobardische Prinzessin war als eitel bekannt, ihre Putzsucht galt als legendär. In jedem Fall wusste sie stets, wem sie in welcher Weise zu begegnen hatte. Sicaildis drapierte sich den Mantel um die Schultern und zauste ein letztes Mal ihr Haar, bevor sie es mit dem Schleier bedeckte. Sie musste in keinen Kupferspiegel schauen - sie wusste um ihr dramatisches Aussehen. Doch diesmal war es keine Eitelkeit, das spürte Ima. Diesmal sollte ihre Erscheinung gezielt Respekt einflößen - vielleicht sogar Angst. Ima lief es kalt über den Rücken.
Ob Hel, die Totengöttin ihres Vaters, den Menschen so erschien? Selbst dem Borsa, sonst immer für einen lockeren Spruch zu haben, entglitten die Züge.
»Wir - ich - äh …«, stotterte er und kratzte sich das ungewaschene Haar. Läuse fielen ihm auf die Schultern, krabbelten davon. Man roch, dass er schon länger kein Bad mehr gehabt hatte, wie die meisten in diesem Lager. Seine Wangen waren hochrot vor Verlegenheit, Wut - es war unklar, was ihn antrieb. Mut jedenfalls war es nicht. Viel mehr als das hinreißende Aussehen hatte Roger Borsa von seinem Vater nicht geerbt. Jedem anderen Ritter hätte Ima das Ungeziefer und den Körpergeruch verziehen - dem Borsa nicht.
Er verdient Apulien nicht, dachte Ima verächtlich. Er hat Läuse auf den Schultern sitzen, und er schwitzt wie ein Angsthase - er verdient dieses Land einfach nicht. Und vielleicht hatten die Kritiker recht, die ihn jetzt so in Unruhe versetzten - vielleicht war der
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