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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Regal rechts neben der Balkontür war ähnlich zum Verzweifeln. Es sah aus, als hätte er die Wäsche direkt vom Schmutzberg in die Fächer gestopft.
    Ihm grauste vor dem elenden Aufräumen, denn in Wohnzimmer, Küche und Bad sah es nicht besser aus. Er musste sich bemühen, keine CDs und DVDs zu zertreten, die überall herumlagen.
    Bereits in der Tür warf er einen Blick auf den Faxapparat auf dem Fensterbrett. Sein Magen verkrampfte sich, als er das Theater-Logo erkannte. Kein gutes Zeichen.
    Lukas sprang über seine Klamotten, die er gestern Abend bereits vor dem Fernseher ausgezogen hatte, und riss den Brief aus dem Gerät.
    Während er las, sank er auf die Couch. Die Intendanz teilte ihm in freundlichen, aber unmissverständlichen Worten mit, man habe leider umdisponieren müssen. Das Stück »Einer flog über das Kuckucksnest« sei wegen betriebsinterner Schwierigkeiten vom Spielplan gestrichen worden. Es tue ihnen außerordentlich leid, dass es diesmal nicht zu einer Zusammenarbeit komme, aber wenn in einem anderen Stück demnächst eine geeignete Rolle für ihn sei, würde man gern wieder auf ihn zukommen. Mit freundlichen Grüßen.
    Lukas steckte die Wut derart fest im Hals, dass er das Vibrieren seines Herzschlags im Brustkorb spürte. Diese Schweine. Nun gut, die Rolle des Pflegers Warren in dem Stück war nun nicht gerade der Hit und wäre sicher auch nicht sein Durchbruch in Berlin gewesen, aber immerhin hätte er einen Fuß in der Tür dieses Theaters gehabt. Vielleicht wäre er auch im nächsten Stück dabei gewesen und hätte irgendwann dazugehört. Darum war ihm diese Rolle so wichtig gewesen. Und jetzt so etwas.

    Beim Verhandeln der Gage war der Intendant scheißfreundlich gewesen. Jammerte zwar unentwegt über die kulturfeindlichen Zeiten, die Sparzwänge und die drohende Pleite, bot ihm dann aber doch zweihundert pro Vorstellung, allerdings nichts für die Proben. Lukas hätte auch für hundertfünfzig gespielt und bemühte sich, seine Freude nicht zu deutlich zu zeigen. Zum Schluss tat der Intendant so, als wäre er unglaublich glücklich, Lukas für die Rolle gewonnen zu haben. Lukas fühlte sich geschmeichelt. Der Intendant versprach, ihm den Vertrag in einigen Tagen zuzusenden, und Lukas glaubte ihm. Auch noch, als der Vertrag eine Woche später immer noch nicht da war. Nach zehn Tagen rief er im Theater an.
    Die Sekretärin, Frau Bremer, war am Apparat. Eine gelangweilte Brünette mit Pagenschnitt und einer Ausstrahlung, als sei sie mit fünfundvierzig immer noch Jungfrau und verdammt stolz darauf.
    »Das ist aber merkwürdig, dass Sie den Vertrag noch nicht bekommen haben«, flötete sie, »ich hab ihn bereits am Freitag abgeschickt. Wahrscheinlich liegt es an der Post. Wir haben in letzter Zeit ständig Probleme, weil irgendetwas nicht ankommt. Ich schicke Ihnen noch heute einen neuen Vertrag zu.«
    »Das ist furchtbar nett von Ihnen.«
    »Oder Sie unterschreiben den Vertrag einfach bei Probenbeginn hier im Büro. Dann kann nichts schiefgehen, und es sind ja auch nur noch ein paar Tage.« Die Stimme der Schreckschraube klang wider Erwarten sogar recht sympathisch.
    Lukas war einverstanden.
    Probenbeginn wäre am kommenden Montag gewesen.
    Immerhin hatte er einiges für dieses Engagement abgesagt:
eine große Rolle beim Synchron und drei Drehtage in England in einer Pilcher-Verfilmung. Es ließ sich zeitlich alles nicht miteinander vereinbaren, und das Theater war ihm wichtiger gewesen.
    Jetzt hatte er den Salat. Keinen Job, kein Geld, einen völlig verkorksten Sommer. Er wusste, dass er auch gerichtlich gegen das Theater hätte vorgehen und auf die Einhaltung seines mündlichen Vertrages pochen, vielleicht sogar eine Auszahlung hätte raushauen können, aber wer prozessiert schon gern gegen einen potenziellen zukünftigen Arbeitgeber? Er würde den Intendanten um ein Gespräch bitten. Mehr nicht.
    Was für eine Scheiße.
    Das Chaos um ihn herum ging ihm jetzt noch mehr auf die Nerven als vorher, obwohl er auf einmal alle Zeit der Welt hatte, Ordnung zu schaffen. Bis gestern hatte er noch für eine amerikanische Serie im Synchronstudio gestanden, hatte abends um halb neun den letzten Take gesprochen und hinterher mit den Kollegen das Ende der Serie begossen. Und konnte sich nicht mehr erinnern, wie spät es war, als er nach Hause gekommen war. Drei Wochen lang hatte er täglich synchronisiert und es nicht geschafft, sich daneben um seine Wohnung zu kümmern. Geschweige denn einkaufen zu

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