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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Sehnsucht nach Elba, wo seine Familie auf ihn wartete, die Zitronen blühten und sich die Sonnenblumen in Richtung Meer verneigten. Aus den kleinen versteckten und hoffnungslos veralteten Lautsprechern ertönte »Volare«, Giovannis Hymne, und man musste nur lang genug ausharren, um dieses Lied an einem Abend fünfmal zu hören.
    Lukas wurde immer melancholischer. Eins war ihm klar: Er konnte nicht in Berlin sitzen bleiben und auf einen Job hoffen. Das war unmöglich, das würde er nicht verkraften.
    Nach dem dritten Grappa zum Abschied und einer herzlichen Umarmung mit Giovanni wusste Lukas, was er tun
musste, um diesen Sommer zu retten und seinen Frieden zu finden.
    Es war zweiundzwanzig Uhr dreißig, als er die italienische Nummer anrief.
    Bereits beim dritten Klingeln war Magda am Apparat.

13
    Lukas hatte Magda vor siebzehn Jahren zum ersten Mal getroffen. Auf dem sechzigsten Geburtstag seiner Mutter. Die Geburtstagsfeier fand in einem Berliner Mittelklassehotel statt, das sich unglaubliche Mühe gab, exklusiver zu erscheinen, als es war, was aber schon an der Auswahl des Mobiliars und am ungeschliffenen Personal scheiterte.
    Lukas stieg aus einem Taxi und ging langsam durch die ungewöhnlich kleine Empfangshalle. In diesem Moment näherte sich ihm sein Bruder Johannes, neben ihm eine schlanke Frau, das dunkle Haar im Nacken zu einem Knoten gedreht, was ihr unheimlich gut stand. Ihre dunklen braunen Augen sahen ihn an, und Lukas hatte das Gefühl, als sähen sie ihm direkt bis auf den Grund seiner Seele.
    »Das ist Magda«, sagte Johannes. »Und das ist mein Bruder Lukas. Ich glaube, ihr kennt euch noch nicht.«
    Sie gab ihm wortlos die Hand. Lukas stand völlig hilflos vor ihr und wusste nicht mehr, was er machen sollte. Er konnte sie nicht ansehen, aber er schaffte es auch nicht, sie nicht anzusehen. In seinem Kopf wirbelten Worte und Sätze wild durcheinander, er wollte unbedingt etwas sagen, aber er wusste nicht was. Nichts erschien ihm richtig, angemessen,
locker oder witzig. Es ging einfach nicht. Diese Frau raubte ihm den Verstand. Im wahrsten Sinne des Wortes.
    Also nickte er nur und war sich bewusst, dass sie dies vielleicht als unhöflich empfinden würde. Oder sie hielt ihn für einen Trottel, was er in diesem Moment sicher auch war.
    »Ich war ganz gespannt darauf, dich kennenzulernen«, sagte sie lächelnd. »Johannes hat ein paarmal von dir erzählt. Nicht oft, aber doch einige Geschichten aus eurer Kindheit.«
    »Welche denn?«, presste Lukas hervor und kam sich immer dämlicher vor.
    »Nicht jetzt, Lukas.« Johannes legte den linken Arm um Magdas Schultern und zog sie fest an sich. »Wir müssen nur kurz zum Auto, was holen. Geh doch schon mal nach oben. Saal 5. Mama wartet bereits auf dich.«
    Magda schenkte ihm noch ein letztes Lächeln, dann verließen sie durch die Drehtür das Hotel.
     
    An diesem Geburtstag seiner Mutter tanzte er dreimal mit ihr. Einen schnellen Fox, einen Cha-Cha-Cha und einen langsamen Walzer. Nach dem Fox setzte er sich zu ihr und seinem Bruder an den Tisch.
    »Du tanzt gut«, sagte sie anerkennend. »Das ist selten bei Männern.«
    »Es ist mein Beruf«, meinte er so bescheiden wie möglich, »jedenfalls teilweise.«
    »Ich weiß. Johannes hat mir erzählt, dass du Schauspieler bist. Aber ein Schauspieler muss doch nicht unbedingt Meister des Foxtrotts sein?«
    »Muss nicht. Aber es ist auch nicht unbedingt von Nachteil.« Mit jeder Minute erschien sie ihm schöner.

    Als er die ersten Takte des nächsten Liedes hörte, nahm er ihre Hand. »Komm. Ein Cha-Cha-Cha.«
    Sie tanzten so harmonisch, als hätten sie in den letzten Jahren nichts anderes getan. Lukas wusste, dass Johannes sie vom Tisch aus unentwegt beobachtete und auf eine winzige Geste, die kleinste Bewegung lauerte, die einen Verrat bedeuten konnte.
    Aber Lukas hatte sich vollkommen in der Gewalt und ließ sich nicht anmerken, dass er sie am liebsten hier vor allen Geburtstagsgästen umarmt, geküsst und verführt hätte.
    Nach dem Tanz blieb er beharrlich am Tisch sitzen, obwohl er sie liebend gerne die ganze Nacht über auf dem Parkett in den Armen gehalten hätte. Er trank zwei Bier und erzählte ihr von seiner Arbeit, seinen Hoffnungen, Plänen und seiner nächsten Premiere in Braunschweig. »Der Marionettenspieler« von Hubertus Digerius. Eine wahnsinnige Chance für einen jungen Schauspieler. Beinah ein Solo. Er würde den gesamten Abend tragen und endlich alle Facetten seines Könnens zeigen.

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