Die Totengräberin - Roman
einmal wieder wichtig.
»Mein Mann ist verschwunden«, wiederholte sie stockend. »Er ist Sonntag vor einer Woche, also am siebzehnten, mit dem Zug nach Rom gefahren, um einen Freund zu besuchen und um ein paar Tage die Stadt zu genießen. Am Freitag wollte er zurück sein. Aber er ist nicht gekommen.«
Neri runzelte die Stirn. »Ihr Mann hat doch sicher ein Handy?«
»Natürlich. Ich habe schon tausendmal versucht anzurufen, aber es ist ausgeschaltet. Oder kaputt.« Sie lächelte unglücklich, und Neri fand sie umwerfend schön.
»Bitte geben Sie mir doch erst einmal die Personalien Ihres Mannes.«
Magda schrieb alle erforderlichen Daten auf einen Zettel. »Seine Carta d’Identità und seinen deutschen Personalausweis hat er bei sich.«
Neri nickte. Ihre Schrift war wunderbar weich, fließend und leserlich. Etwas anderes hatte er auch gar nicht erwartet.
»Wie heißt denn der Freund, den Ihr Mann in Rom besucht hat?«
»Roberto. Leider habe ich seinen Nachnamen vergessen. Fratelli, Frenelli, Fantini oder so ähnlich. Er ist Bauingenieur und hat uns viele gute Ratschläge gegeben, als wir La Roccia aufgebaut haben. Vor zwei Jahren ist Roberto dann nach Rom gegangen, und mein Mann und er haben ihren losen Kontakt aufrechterhalten. Mehr weiß ich nicht.«
»Hat Ihr Mann denn bei seinem Freund gewohnt?«
»Ich nehme es an.«
»Könnte es auch sein, dass er in einem Hotel übernachtet hat?«
»Natürlich könnte das sein. Aber ich weiß nicht, in welchem.«
»Gibt es irgendwelche Hotels in Rom, in denen er früher schon einmal übernachtet hat und die ihm gefallen haben?«
»Nein. Ich kann mich nicht erinnern. Er fährt nicht oft nach Rom.«
»Gut«, meinte Neri, »ich werde mich darum kümmern. Ich habe gute Verbindungen nach Rom und werde mal mit meinen Kollegen sprechen. Vielleicht kann ich irgendetwas
in Erfahrung bringen. - Bitte beschreiben Sie mir, was Ihr Mann anhatte.«
Magda überlegte. »Eine schwarze Jeans, ein blau gestreiftes Hemd und eine hellbraune Wildlederjacke.« Alles Kleidungsstücke, die Johannes nicht besaß und die sie insofern auch nicht verbrennen oder vernichten musste.
»Können Sie eine Liste der Dinge zusammenstellen, die in seinem Koffer waren?«
»Ja, das kann ich. Kein Problem.«
»Hatten Sie Streit, bevor Ihr Mann nach Rom fuhr?«
»Nein.« Die Antwort kam klar, deutlich und ohne zu überlegen. »Ich kann mich nicht erinnern, dass wir überhaupt jemals einen ernsthaften Streit hatten.«
»Demnach verstehen Sie sich gut?«
»Wir verstehen uns nicht nur gut, sondern fantastisch. Unsere Beziehung ist nicht nur glücklich, sondern perfekt. So etwas wie eine Symbiose. Einer kann ohne den andern nicht sein.« Magdas Italienisch wurde holpriger, immer mehr Fehler schlichen sich ein, aber Neri verstand dennoch, was sie meinte.
»Dann kann es also nicht sein, dass Ihr Mann Sie verlassen hat?«, fragte Neri vorsichtig und war darauf gefasst, dass sie ihm ins Gesicht springen würde.
Aber sie blieb ruhig. »Nein«, sagte sie. »Unmöglich. Das ist vollkommen unvorstellbar. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass wir seit Jahren glücklich zusammenleben. Warum sollte er dies alles aufs Spiel setzen?« Sie sah Neri an, und ihre Pupillen verengten sich. »Bitte, helfen Sie mir. Ich kann ohne ihn nicht leben.«
Neris Magen verkrampfte sich, als habe er drei Tage gehungert, und er bekam Appetit auf ein Rosinenbrötchen. »Natürlich helfe ich Ihnen. Ich werde tun, was ich kann.
Hatte Ihr Mann noch weitere Freunde oder Bekannte in Rom, zu denen er gegangen sein könnte?«
»Nein. Nicht, dass ich wüsste.«
»Was macht Ihr Mann beruflich?«
»Er ist Umzugsspediteur. Er besitzt mehrere Filialen in verschiedenen deutschen Städten.«
Neri kaute an seinem Bleistift. »Könnte es sein, dass er in Rom noch berufliche Termine wahrgenommen hat?«
Magda schüttelte den Kopf. »Davon hätte er mir erzählt. Außerdem hat er seinen Terminplaner, seinen Laptop und sämtliche Unterlagen, die die nächsten Aufträge betreffen, zu Hause auf La Roccia gelassen. Das würde er niemals tun, wenn er einen geschäftlichen Termin hätte.«
»Stimmt.« Neri zermarterte sich das Gehirn, was er noch fragen könnte, aber ihm fiel nichts mehr ein. Er wollte zu Hause mit Gabriella reden. Vielleicht hatte sie eine Idee. Frauen hatten bei derartigen Geschichten eine wesentlich blühendere Fantasie als Männer.
»Ich werde mir die ganze Angelegenheit durch den Kopf gehen lassen, Signora«, meinte Neri. »Und
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