Die Totengräberin - Roman
nicht daran, dass er abgehauen ist und sie verlassen hat«, sagte er leise.
»Das glaubt keine Frau.« Alfonso lachte immer noch.
»Ich würde heute Nachmittag oder meinetwegen auch morgen gerne mal hinfahren. Was meinst du?«
»Das ist Blödsinn, Donato.« Alfonso hörte auf zu lachen und legte seine Füße auf den Schreibtisch. »Was willst du da? Dir noch mal anhören, dass er der liebste und treueste Ehemann unter der Sonne gewesen ist? In alten Fotoalben blättern? Das ist mein Mann als Kind, hier war er siebzehn, das ist ein Foto von unserer Hochzeit … Ich bitte dich, Neri. Jeder erwachsene Mensch hat das Recht, seinen Verwandten und Bekannten gegenüber zu verschweigen, wo er sich aufhält. Und wenn keine Gefahr im Verzug ist und wir nicht davon ausgehen müssen, dass ein Verbrechen geschehen ist, haben wir mit der ganzen Angelegenheit nichts zu tun.«
Neri seufzte.
»Und kennst du die Straße, die nach La Roccia führt? Das ist keine Straße, das ist wie ein ausgetrocknetes Flussbett, eine Katastrophe. Nur die bekloppten Deutschen wohnen an so einer Straße. Ich muss das nicht haben, und unserm Jeep müssen wir das auch nicht unbedingt zumuten.«
»Ich werde mal in den römischen Krankenhäusern nachfragen.«
»Tu das, mein Freund, tu das«, meinte Alfonso und gähnte herzhaft. Der Fall interessierte ihn mindestens genauso brennend wie ein Ladendiebstahl im Alimentarigeschäft.
Neris Gedanken überschlugen sich. Er würde einen offiziellen Antrag stellen für eine Dienstreise nach Rom. Um direkt von dort aus zu ermitteln. Und Gabriella würde selbstverständlich mitkommen. Sie würde endlich wieder stolz sein auf ihren Mann und die Tage genießen. Er würde sie aus ihrem Tief herausholen und glücklich machen.
»An deiner Stelle würde ich mal deine ehemaligen Kollegen in Rom anrufen«, spottete Alfonso. »Vielleicht können die was machen.« Er grinste schon wieder, und Neri hätte ihm am liebsten seinen kurzen feisten Hals zugedrückt.
21
Gabriella hatte ein Pastagericht gekocht und häufte Neri Penne mit Brokkoli und Sardellen, in Knoblauchöl gebraten, auf seinen Teller und rieb reichlich Parmesankäse darüber.
»Und du?«, fragte Neri erstaunt, da Gabriella für sich nur einen kleinen Salat aus dem Kühlschrank holte.
»Ich bin auf Diät«, sagte sie. »Ich hab mir hier in der Pampa schon so viele Frustkilos angefressen, die will ich wieder wegbekommen. Und dann will ich mich neu einkleiden. In Größe achtunddreißig, Schatz! Jetzt trage ich zweiundvierzig!«
Neri nickte stumm. Dass seine Frau zugenommen hatte, war ihm überhaupt nicht aufgefallen.
»Ich muss mindestens sechs Kilo abnehmen, um das zu schaffen, wenn nicht acht.«
Neri sagte nichts dazu, um keinen Fehler zu machen, und fing an zu essen.
»Guck dich doch mal um, Neri! Sieh mal genau hin, was die Leute hier anhaben! Klamotten, die noch nicht mal die Misericordia annehmen würde. Hier kannst du im Nachthemd oder im Kartoffelsack auf den Markt gehen, es würde niemandem auffallen. - Und?«, fragte sie nach einer Pause, faltete die Hände vor sich auf dem Tisch und sah ihn
spöttisch an. »Was gibt’s Neues in Ambra? In der Hochburg der Kriminalität?«
Neri begann das Verschwinden des Signore von La Roccia, Johannes Tillmann, so ausführlich und detailliert wie möglich zu schildern. Gabriella hörte aufmerksam zu und vergaß vor Aufregung, ihren Salat hinunterzuschlucken.
Als er fertig war, starrte sie ihn fassungslos an. »Aber Neri«, sagte sie, »siehst du denn nicht, was da los ist?«
»Wie meinst du das?« Neri war verunsichert. Auf der einen Seite wünschte er sich einen klugen Ratschlag von seiner Frau, auf der anderen Seite wollte er aber auch nicht wieder als Vollidiot dastehen.
»Lass uns mal alle Möglichkeiten durchspielen.« Sie schob die Penne zur Seite, faltete die Hände auf dem Tisch, beugte sich vor und sah Neri eindringlich an. »Nehmen wir mal an, es ist so, wie sie sagt. Sie haben eine wunderbare, glückliche Beziehung, und plötzlich ist der Mann weg. Meldet sich nicht mehr, obwohl sie normalerweise täglich in Kontakt stehen. Sie schließt aus, dass er eine andere Frau hat. Wenn wir davon ausgehen, dass das stimmt, dann ist etwas passiert, Neri. In der heutigen Zeit gibt es das nicht, dass man sich nicht melden kann.«
»So weit waren wir auch schon.«
»Gut. Es gibt nur einen Grund, warum er sich nicht meldet: Er ist tot. Von einem Unfall oder einer plötzlichen Krankheit hätte sie längst
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