Die Totengräberin - Roman
Rest der Familie nichts mehr zu tun haben und lebte von einer kleinen Rente in einer Zweizimmerwohnung in Bologna. Sein Onkel, der Bruder seiner Mutter, wohnte mit seiner dritten Frau in Perugia, die Schwester seines Vaters mit ihrem Mann in Neapel. Er hatte sie alle nicht über den Tod seiner Mutter benachrichtigt. Das wurde ihm erst jetzt bewusst. Sobald sie es erführen, würden sie es ihm übel nehmen. Nur einen Augenblick hatte er ein schlechtes Gewissen, aber dann schob er den Gedanken weit von sich fort. Es waren alles Idioten. Stumpfsinnige, beschränkte Gemüter mit einem Wortschatz, der gerade mal zum Begrüßen, Verabschieden und zum Reden übers Wetter reichte. Sie waren laut, primitiv und leicht erregbar, und auf jedem Familientreffen gab es Krach. Man konnte die Uhr danach stellen. Spätestens nach zwei Stunden ging der Streit los.
Nein, er hatte es völlig richtig gemacht, niemanden zur Beerdigung einzuladen, er wunderte sich sowieso, dass er diese Familie halbwegs unbeschadet überstanden hatte, drei und drei zusammenzählen konnte und seinen Horizont übers Treckerfahren hinaus erweitert hatte. Er beschäftigte sich nicht nur mit kalt gepresstem Olivenöl und jungem Wein, sondern auch mit Dante, Petrarca und Boccaccio.
Ich will das alles nicht mehr, dachte er. Ich werde das Haus verkaufen, und dann sieht mich Ambra nie wieder.
27
Die nächsten Tage waren ruhig. Donato Neri rief nur ein einziges Mal an, um sich zu erkundigen, ob Magda irgendetwas von ihrem Mann gehört hätte.
»Sie wären der Erste gewesen, dem ich Bescheid gesagt hätte«, erwiderte sie, und Neri dachte, dass dieser Anruf zwar nicht eine Dummheit, aber zumindest nicht notwendig gewesen war.
Lukas band die Rosen hoch und fragte sie, ob er den Garten bepflanzen solle. Ein so wunderbares Stückchen Land mit fantastischer Erde wäre einfach zu schade, um brachliegen zu bleiben.
Aber Magda lehnte ab. »Lass mal, das mach ich schon allein«, meinte sie schnell. »Ich arbeite gern im Garten. Das entspannt mich ein bisschen.«
Magda hatte zum Mittagessen zwei Gläser Wein getrunken und war müde. Sie lag im Sessel und schlief.
Lukas schlenderte ums Haus und guckte sich um, ob es irgendwo etwas Sinnvolles für ihn zu tun gäbe.
Es war windig geworden, und das Olivenbäumchen, das Magda gepflanzt hatte, schwankte bedenklich. Manchmal legte es sich so weit auf die Seite, dass Lukas schon glaubte, es wäre abgebrochen. Offensichtlich hatte Magda es nicht tief genug eingepflanzt und auch schlecht angegossen
und bewässert, denn der Wurzelballen ragte aus der umliegenden Erde heraus, und der Baum hatte dadurch kaum Stabilität. Er überlegte, ob er es ausgraben und tiefer einpflanzen sollte, aber dazu hatte er wenig Lust. Erst einmal wollte er es mit einer Holzstange probieren, die dem Bäumchen Halt geben würde.
Lukas suchte die ganze Werkstatt nach einem Pfahl ab, aber er fand keinen, der geeignet gewesen wäre, den Baum langfristig abzustützen. Daher setzte er sich kurzerhand ins Auto und fuhr nach Ambra ins Consorzio. Pfähle gab es dort in jeder Länge und Stärke. Lukas kaufte fünf Stück. Zwei Meter fünfzig lang und mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern.
Wieder auf La Roccia holte er einen schweren Vorschlaghammer aus dem Magazin und machte sich an die Arbeit. Es war schwierig, mit einer Hand den Pfahl zu halten und mit der anderen den schweren Hammer zum Schlagen zu benutzen, und einen Moment überlegte er, ob er Magda holen solle, damit sie ihm helfen und den Pfahl halten könnte - aber dann tat er es doch nicht. Sie schlief, und er wollte sie nicht wecken. Er brauchte fünf Schläge, bis der Pfahl zumindest oberflächlich so weit in der Erde steckte, dass er ihn loslassen und den Hammer mit beiden Händen halten konnte. Er trieb den Pfahl ungefähr dreißig oder vierzig Zentimeter tief, dann spürte er einen erheblichen Widerstand. Da die Stabilität noch lange nicht ausreichte, schwang er den Hammer und schlug mit aller Kraft zu. Dreimal, und plötzlich - als er schon aufgeben und eine andere Stelle probieren wollte - war der Widerstand gebrochen, und der Pfahl fuhr in die Tiefe. Beinah butterweich.
Lukas war zufrieden und band das Bäumchen an ihm fest.
Erst am Abend klopfte Lukas bei Magda an die Tür.
»Magda?«, rief er leise und vorsichtig. »Ist alles in Ordnung?«
»Ja. Warum?«
»Weil es schon fast acht ist.«
Sie setzte sich auf und gähnte herzhaft. »Ich komme gleich nach draußen. Einen
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