Die Totengräberin - Roman
auffällige Erscheinung. Er sah nicht aus wie ein Tourist, und Magda überlegte, was ein Italiener wie er hier zu suchen hatte.
Er spürte, dass sie ihn musterte, und als er von seiner Karte aufsah und sich ihre Blicke trafen, spielte ein leichtes Lächeln um seine Mundwinkel.
Auch Topo fand die Signora, die offensichtlich Kontakt mit ihm suchte, durchaus interessant. Eine äußerst reizvolle Situation, zumal sie nicht allein im Restaurant war, sondern zusammen mit ihrem Mann.
Lukas hatte am Tresen einen Prospekt über die unterschiedlichsten Veranstaltungen in dieser Gegend in diesem Sommer gefunden. Kino, Theater, Oper, Konzerte, alles »sotto le stelle«, also unter freiem Himmel auf Plätzen oder
in den Parks einzelner Weingüter. Sie diskutierten, wo es sich lohnen würde hinzugehen, und Lukas bekam von dem Herrn am Nachbartisch, der in seinem Rücken saß, nichts mit.
Aber Magda ließ die Spannung zu dem Fremden nicht abreißen.
Schließlich bezahlte Topo, der nur ein einfaches Pastagericht gegessen hatte, stand auf und trat mit einer leichten Verbeugung zu Magda und Lukas an den Tisch.
»Verzeihen Sie, wenn ich störe«, sagte er und lächelte charmant, »mein Name ist Stefano Topo, könnte es sein, dass wir uns schon einmal irgendwo begegnet sind?«
Magda fand die Kontaktaufnahme nicht besonders originell, aber es faszinierte sie, dass er langsam und deutlich sprach. Außerdem war der Klang seiner Stimme warm und wohltuend.
»Das kann sein«, sagte sie und bemühte sich, keine grammatikalischen Fehler zu machen, »wir wohnen auf La Roccia und sind mehrere Wochen im Jahr hier. Vielleicht sind wir uns ja mal in der Bar, auf der Piazza oder auf dem Markt begegnet.«
»Das kann natürlich sein. Sie wohnen auf La Roccia? Das ist ja interessant. Ich habe mich immer gefragt, was aus dem Anwesen geworden ist. Als ich Kind war, war ich oft dort und habe Maronen gesammelt. Das Haus gehörte damals dem Bruder meines Großvaters.«
Als er das sagte, fasste Magda intuitiv Vertrauen zu ihm.
»Aber jetzt will ich Sie nicht weiter stören.« Er zog eine Visitenkarte aus seiner Brusttasche. »Wenn Sie Lust haben, melden Sie sich doch mal. Ich würde mich freuen.«
»Mir geht es ganz genauso. Und wenn Sie Zeit haben, kommen Sie doch mal auf La Roccia vorbei! Dann können
Sie sehen, was aus dem ehemaligen Anwesen Ihres Großvaters geworden ist.«
»Des Bruders meines Großvaters …«, korrigierte Topo.
»Natürlich. Entschuldigen Sie. So perfekt bin ich nicht im Italienischen.«
»Sie sprechen fantastisch!«
»Danke.« Magda fühlte sich wirklich geschmeichelt und fügte hinzu: »Also kommen Sie gerne mal vorbei. Ich meine das ernst, es würde mich wirklich freuen.«
Topo reichte ihr die Hand. »Passen Sie auf, was Sie sagen, Signora: Ich nehme Sie beim Wort. - Einen schönen Abend noch.«
Lukas und Topo schüttelten sich stumm die Hände, dann verließ Topo das Restaurant. Mit geschmeidigem Gang und hoch erhobenen Hauptes.
26
Topo hatte nicht gedacht, dass seine Mutter so viele Freunde und Bekannte hatte und dass so viele zur Beerdigung kommen würden. Aber das war so ziemlich das Einzige, was er bewusst registrierte. Seine Gefühle, die am vergangenen Abend vollkommen überraschend und durchaus beeindruckend beim Anblick der Leiche seiner Mutter über ihn hereingebrochen waren, waren vollkommen verschwunden. Er ließ die Beerdigungszeremonie, das Händeschütteln und das nicht abreißen wollende Kondolieren über sich ergehen wie einen lästigen Termin.
Er war heilfroh, als er sich gegen Mittag in sein Elternhaus zurückziehen konnte. Dort begann er Schrank für Schrank durchzusehen und auszumisten. In riesigen, mannshohen Müllbeuteln verschwanden nicht nur zerschlissene Bettwäsche, harte und ausgefranste Handtücher und zwanzig Jahre alte Tischdecken, sondern auch die Röcke, Blusen und Jacken seiner Mutter sowie die gesamte Unterwäsche, ihre Schuhe, Strümpfe und Taschen. Er stopfte den Inhalt der Schränke in einem derartigen Tempo in die Säcke, als wolle er binnen weniger Stunden jede Erinnerung auslöschen. Im Haus sollte nicht mehr zu erkennen sein, wer hier Jahrzehnte gewohnt hatte.
Nur für die persönlichen Briefe und Fotoalben nahm er
sich ein bisschen Zeit. Mein Gott. Jahre hatte er die Fotos nicht mehr gesehen und keinen Gedanken verschwendet an seinen Vater, seine Großeltern, Onkel und Tanten. Sein Vater und die Eltern seiner Mutter waren tot, die Mutter seines Vaters wollte mit dem
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