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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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hastigen Rauswurf, aber das war ihm egal, er hatte ohnehin nicht vor, sie wiederzusehen. Sein Dank für die vergangene Nacht waren ein paar unbedeutende, aber freundliche Sätze in der Kritik, die er gerade jetzt hörte. Er musste lächeln. Ciao, Viviana, vielleicht laufen wir uns noch einmal über den Weg, ansonsten habe ich deinen Namen und die Erinnerung an die Nacht mit dir sicher schon nächste Woche vergessen.
    Die Kritik war zu Ende, und schlagartig fiel ihm wieder ein, was er jetzt alles vor sich hatte. Ihm grauste regelrecht davor, er fürchtete sich vor dem Anblick seiner Mutter.

    Eine halbe Stunde später hatte er sein Elternhaus in Ambra erreicht.
    »Buongiorno, stronzo«, kreischte Beo, als er ins Zimmer kam. Topo versuchte, den Vogel zu überhören und zu übersehen.
    Albina Topo lag in ihrem Bett auf dem Rücken, die Hände über der Brust gefaltet und den Blick starr zur Decke gerichtet. Sie sah aus wie aufgebahrt, und Topo überlegte einen Moment, ob dies Rositas Werk war oder ob sich seine Mutter zum Sterben wirklich so zurechtgelegt hatte. Ein eigentümlich säuerlicher Geruch ging von ihr aus, der Topo davon abhielt, sich noch einen Augenblick neben sie zu setzen.
    Er öffnete das Fenster, rief die Dottoressa an und bat sie, sofort zu kommen.
    Dann setzte er sich in die andere Ecke des Zimmers, betrachtete aus der Entfernung ihre ruhige Gestalt und bemitleidete sich selbst. Ich habe keine Mutter mehr, dachte er pathetisch, den Schoß, der mich gebar, gibt es nicht mehr. In kurzer Zeit wird ihr Körper zu Staub zerfallen, wird von Maden gefressen, wird verfaulen und sich gänzlich auflösen. Ich habe keine Mutter mehr, ich bin jetzt wirklich allein. Meine letzte Verbindung zu dieser Welt ist abgerissen, ich schwebe im luftleeren Raum. Es gibt niemanden mehr, der mich auffangen und trösten kann, und obwohl ich ihren Rat schon jahrelang nicht mehr eingeholt habe, ist es ein merkwürdiges Gefühl, dass ich das jetzt auch nicht mehr tun könnte. Ich vermisse dich, Mutter, ich vermisse die Vorstellung, dass du in diesem Haus immer anzutreffen bist, egal, wann ich komme. Dein Fehlen reißt mir den Boden unter den Füßen weg, nimmt mir meine ganze Sicherheit.
    Topo steigerte sich derart in diese schwülstigen Gedanken
hinein, dass ihm die Tränen in die Augen traten, was er wundervoll fand. Was für ein großes Gefühl, dachte er, was für ein existenzieller Moment! Der Abschied von meiner Mutter. Ein einschneidenderes Erlebnis konnte es für einen Menschen nicht geben.
    Merke dir diese Trauer, diesen Kummer, diese Leere in dir, mahnte er sich, es macht dich reicher, vielleicht kannst du eines Tages darüber schreiben.
    Zehn Minuten später kam die Dottoressa, gefolgt von Rosita, die Topo stumm in den Arm nahm. Topo schluchzte einmal kurz auf. In diesem Fall ist weniger mehr, dachte er, und dankte Rosita für ihre aufopfernde Hilfe in den letzten Monaten.
    Die Dottoressa untersuchte Albina und stellte den Tod fest. Albina war ihrer Krebskrankheit erlegen, daran gab es gar keinen Zweifel.
    Sie hatte keine Einwände dagegen, dass Topo den Bestatter Ivo bestellte.
    Ivo kam mit seinem Mitarbeiter um halb acht. Wie immer stotternd und bleich, aber übereifrig, was aus dem Glücksgefühl resultierte, dass es wieder jemanden zu beerdigen gab. Jeden Tag betete er, dass der Tod nach Ambra kommen möge, und es erfüllte ihn mit tiefer Dankbarkeit, wenn der Herr sein Flehen erhört hatte.
    Topo besprach mit ihm die Formalitäten der Beisetzung, die bereits am nächsten Tag stattfinden sollte, und dann trugen Ivo und sein Kollege den grauen Kunststoffsarg aus dem Haus.
    Die Nachbarn sahen schweigend zu, wie der Sarg im Leichenwagen verschwand, und Topo bekreuzigte sich stumm, obwohl er das letzte Mal gebetet hatte, als er noch keine zehn Jahre alt gewesen war.

    Ihm war flau im Magen, und er beschloss, erst einmal essen zu gehen, bevor er die Habseligkeiten seiner Mutter durchsehen, wegwerfen oder verschenken würde.

25
    Es war eine warme Nacht. Im Innenhof des »Alla corte di Bacco« saß man wunderbar windstill unter riesigen hellen Sonnenschirmen. Magda und Lukas hatten sich zusammen ein Bistecca Fiorentina, ein riesiges Rindersteak, bestellt, das fast blutig gegessen wird. Dazu aßen sie weiße Bohnen und Salat und tranken einen Rosso di Montepulciano.
    Magda bemerkte den gepflegten und attraktiven Mann am Nachbartisch, der sorgfältig die Speisekarte studierte, sofort. In einem Ort wie Ambra war er eine

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