Die Totengräberin - Roman
das ganze Wasser vom Baum weg.«
Magda brachte ein Lächeln zustande.
»Das ist alles furchtbar lieb. Danke, Massimo, du bist ein wahrer Freund. Aber jetzt lasst uns erst einmal gemeinsam etwas trinken. Was darf ich Ihnen anbieten, Signore Neri?«
Massimo und Donato Neri folgten der Einladung gern. Sie setzten sich auf die Terrasse, während Magda das Haus
aufschloss und aus dem Kühlschrank kaltes Wasser holte. Dazu schnitt sie zwei Limonen auf.
Sie hatten keine Leiche gefunden. Natürlich nicht. Johannes war mit Carolina in Rom. Aber irgendwann würde er zu ihr zurückkehren. Irgendwann.
29
Am nächsten Morgen konnte sich Magda kaum bewegen. Die Schulter schmerzte immer noch, sie fühlte sich kraftlos und schlapp, und beim Gang ins Bad tat ihr jeder einzelne Knochen weh. Verdammt, vielleicht bekomme ich eine Sommergrippe, befürchtete sie, das ist das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann.
Unter dem warmen Wasser der Dusche entspannten sich zwar ihre Muskeln, aber die Müdigkeit blieb. Sie hoffte, dass ein starker Kaffee ihr den nötigen Schwung geben würde, aber nach dem Frühstück fühlte sie sich noch schwächer als zuvor.
»Mir geht’s wieder nicht besonders gut heute Morgen«, sagte sie zu Lukas, »ich bin total kaputt und leg mich noch mal’ne Weile hin. Vielleicht nehme ich auch ein heißes Bad. Mir läuft ständig ein eiskalter Schauer über den Rücken.«
»Miss mal, ob du Fieber hast«, meinte Lukas besorgt. »Hoffentlich hast du dir in Rapolano nicht einen Virus eingefangen. In Bädern geht so was schnell. Oder aber es war alles einfach ein bisschen viel für dich in den letzten Tagen.«
Magda nickte nur und ging ins Schlafzimmer. Eigentlich kroch sie die Treppe hinauf.
Lukas fuhr nach Montevarchi zu Ipercoop, um den wöchentlichen Einkauf zu erledigen.
Das Fieberthermometer hatte sie schon ewig nicht mehr gebraucht. Das letzte Mal hatte sie vor drei Jahren eine fiebrige Erkältung gehabt und war zwei Tage im Bett geblieben. Sie durchsuchte ihren Nachttisch, aber da war kein Fieberthermometer. Also ging sie die Treppe noch einmal hinunter und suchte im Medizinschränkchen im Bad. Aber auch dort wurde sie nicht fündig. Jeder Schritt fiel ihr schwer. Sie schleppte sich zurück ins Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Nach wenigen Sekunden - sie hatte gerade die Bettdecke über sich gezogen - fiel ihr ein, dass sie noch gar nicht in Johannes’ Nachttischschublade nachgesehen hatte. Mühsam rollte sie sich auf die andere Betthälfte und öffnete sie. Das, was sie dort zwischen Magentabletten, Tempotaschentüchern, Manschettenknöpfen, einer alten Armbanduhr, Nasenspray und Kondomen fand, war kein Fieberthermometer, sondern Johannes’ Handy.
Jetzt fiel es ihr wieder ein. Sie hatte das Handy ganz vergessen, obwohl sie pausenlos davon geredet hatte. Aber in ihren Gedanken hatte sie allmählich ein Handy vor sich gesehen, das in einen römischen Brunnen gefallen war und dort im flachen Wasser zwischen Münzen und Plastikmüll lag. Es war ein merkwürdiges Gefühl, es jetzt plötzlich in den Händen zu halten, und darum schaltete sie es ein. Auf der Mailbox war nur eine einzige Sprachnachricht von vorgestern: »Bitte, ruf mich an!«, sagte eine Frauenstimme. »Es ist ganz wichtig. Bitte!«
Carolina. Natürlich. Das klang ja beinah schon flehend. Wahrscheinlich hatte Lukas ihr mit seinem Anruf Angst gemacht, und sie hatte sofort zurückgerufen. Also war sie immer noch hinter ihm her.
Magda legte das Handy auf den Nachttisch, drehte sich
auf die Seite und war binnen weniger Sekunden fest eingeschlafen.
Ungefähr anderthalb Stunden später klingelte es. Im ersten Moment konnte sie nicht orten, woher das Klingeln kam, aber dann erinnerte sie sich an das Handy auf dem Nachttisch, setzte sich schlaftrunken auf und nahm das Gespräch an.
»Hallo?«, flüsterte sie fast.
»Guten Tag«, sagte dieselbe Frauenstimme, die sie schon von der Mailbox her kannte. »Bitte entschuldigen Sie die Störung, aber ich würde gern Herrn Tillmann sprechen.«
»Tut mir leid, das geht nicht«, erwiderte Magda mit der größtmöglichen Beherrschung. »Er ist nicht da.«
Carolina zögerte für den Bruchteil einer Sekunde, aber Magda spürte es trotzdem.
»Ich habe gehört, dass er verschwunden ist. Er ist also bis heute noch nicht wieder aufgetaucht?«
»Nein.«
»Wissen Sie, ob ihm irgendetwas passiert ist?«
»Nein.«
»Das tut mir leid. Waren Sie bei der Polizei?«
»Ja.« Das Gespräch passte
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