Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
Vom Netzwerk:
Magda gar nicht, und sie überlegte, wie sie es am besten beenden konnte.
    »Hören Sie«, sagte sie kühl und möglichst emotionslos, was aber sehr unfreundlich klang, »falls er wieder auftaucht, kann er sich ja bei Ihnen melden. Ich werde ihm Bescheid sagen. Wie heißen Sie?«
    »Carolina Hammacher. Das ist sehr nett von Ihnen. Danke.«
    Carolina legte auf.
    Magda fixierte einen Moment das Handy, als würde es noch weitere Informationen von sich geben, dann stand sie
auf, zog sich ihren Bademantel über, steckte das Handy in die Tasche und ging ins Bad.
    Im heißen Wasser mit dem Duft von Honig und Vanille ging es ihr allmählich besser, und die Lust auf den Tag kehrte zurück. Wahrscheinlich habe ich ganz einfach Depressionen, überlegte sie sich. Ich habe mich in meinem neuen Leben noch nicht zurechtgefunden.
    Carolinas Anruf war wie ein böser Spuk, der ihr auf der Seele brannte.
    Sie setzte sich in der Wanne auf, zog das Handy aus der Bademanteltasche und versenkte es im heißen, schaumigen Wasser.

30
    Carolina Hammacher stand auf ihrer kleinen Terrasse in Berlin-Hermsdorf und sah in den Garten, in dessen Mitte ein riesiger Apfelbaum stand. Der gewaltige Baum überragte mit seiner ausladenden Krone fast die gesamte Rasenfläche und bot ein lichtdurchflutetes grünes Blätterdach. Darunter hatte die Hausgemeinschaft, die aus vier Parteien bestand, Tische und Stühle aufgestellt, wo man sich an schönen Sommerabenden zu einem Glas Wein traf oder auch zusammen grillte.
    Der Baum war zu groß, um im Herbst die Äpfel pflücken zu können. So sammelten die Bewohner des Hauses lediglich die Früchte auf, die auf dem Rasen lagen, und Frau Tiek aus dem ersten Stock machte für sämtliche Mitbewohner unermüdlich Apfelsaft, Kompott und Apfelmus.
    Carolina musste daran denken, wie Johannes und sie unter dem Baum gesessen und geredet hatten, bevor sie dann irgendwann ins Haus gingen, Fenster und Türen schlossen und sich ins Schlafzimmer zurückzogen.
    Offensichtlich war da doch noch eine Spur von Liebe. Oder eher Wehmut. Zum ersten Mal Trauer über den, den sie verloren hatte. Denn nach Johannes’ abruptem Weggang war in den letzten Tagen jegliches Gefühl in Wut und Zorn erstickt.

    Vielleicht sagte ihr seine Frau auch nur, dass Johannes nicht zu erreichen sei, weil sie nie wieder anrufen sollte. Doch dann fiel ihr das Telefonat ein, als Johannes’ Bruder sie angerufen hatte. Er hatte echt geklungen und wirklich besorgt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass seine Frau ihn angeheuert und dieses Gespräch provoziert hatte. So gut konnte kein Mensch schauspielern.
    Sie überlegte krampfhaft, ob Johannes irgendetwas erzählt oder erwähnt hatte, was ein Hinweis darauf sein könnte, wo er sich aufhielt. Irgendeine Kleinigkeit, der sie nie eine Bedeutung zugemessen, die sie einfach überhört hatte.
     
    Es begann an einem sonnigen Märztag vor gut drei Monaten.
    Carolina wachte auf, weil Frau Tiek über ihr schnarrend und ratternd die Jalousien hochzog.
    Seufzend schwang sie sich aus dem Bett, ging barfuß durchs Schlaf- und Wohnzimmer, das auch eine offene Küche mit einschloss, und öffnete die Terrassentür. Zwei Minuten stand sie im Nachthemd in der offenen Tür und atmete tief durch. Und plötzlich wurde ihr klar, dass Andi nicht mehr da war.
    »Scheiße«, fluchte sie leise.
    Der kühle Morgenwind fuhr ihr in die Knochen. Sie versuchte, ihre eiskalten nackten Füße auf dem Laminat zu ignorieren, und lief zu ihrer Handtasche, die immer über der Stuhllehne am Esstisch hing. Sie zog ihr Portemonnaie heraus und öffnete es. Es war leer. Also doch. Er hatte sie wahrhaftig schon wieder beklaut, denn sie wusste genau, dass gestern Abend noch hundertzwanzig Euro darin gewesen waren. Er hatte das Geld genommen und sich aus dem Staub gemacht.

    Zweimal war das bisher passiert, und jedes Mal hatte er jede Menge Erklärungen gehabt, sich tausendmal entschuldigt und geschworen, dass so etwas nie wieder vorkommen würde.
    Carolina schloss die Balkontür, drückte auf den Einschaltknopf der Espressomaschine und griff zum Telefon.
    »Wo bist du?«, fragte sie.
    Andi gab keine Antwort, aber sie hörte seinen Atem.
    »Behalte die hundertzwanzig Euro und lass dich bei mir nie wieder blicken. Ich bin’s leid.«
    Sie drückte auf die Taste, um das Gespräch zu beenden, und wünschte sich in diesem Moment ein Telefon, bei dem man den Hörer auf die Gabel knallen konnte.
    Später unter der Dusche überlegte sie, was sie tun sollte.

Weitere Kostenlose Bücher