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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Heute war Samstag, und sie hatte keinen Cent im Haus. Ein unangenehmes Gefühl. Sie musste unbedingt zu einem Geldautomaten und auch noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen. Die Milch reichte nicht mehr, und der Salat im Kühlschrank fing schon an zu faulen. Sie spürte, dass schlechte Laune sich wie eine dicke Decke über sie legte und sie träge und lustlos werden ließ. Es war alles Andis Schuld.
    Sie duschte lange. Wartete auf ein Gefühl der Erleichterung, aber es kam nicht. Dazu war die Trennung von Andi einfach zu profan, zu unspektakulär gewesen, und sie vermutete, dass er spätestens am Abend vor ihrer Tür stehen würde. Aber diesmal würde sie nicht wieder weich werden.
    Als sie eine halbe Stunde später zum Geldautomaten und zum Supermarkt ging, beschloss sie, am Nachmittag zu ihrer Stute Penthesilea zu fahren. Raus aus der Stadt, in die Uckermark, Richtung Templin. Auf ihrer Maschine würde sie sich den Wind um die Nase wehen lassen und
dann ein paar Stunden auf Penthesilea reiten, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen und sich von diesem Albtraum namens Andi zu befreien.
     
    An jenem ungewöhnlich warmen Samstag im März war Johannes auf dem Weg zu einem Kunden in Prenzlau, der mit seiner Familie in einer pompösen Villa wohnte. Dieser Kunde war Schönheitschirurg, hatte Geld wie Heu und plante jetzt den Umzug der Familie nach Bayern, wo er am Starnberger See eine noch pompösere Villa gekauft hatte und auf wesentlich zahlreichere und zahlungskräftigere Kundschaft als in Brandenburg hoffte.
    Johannes arbeitete seit über zwanzig Jahren in der Umzugsfirma seines Vaters. Vor acht Jahren hatte er die Leitung übernommen und seitdem drei weitere Filialen in Hannover, Stuttgart und Bremen eröffnet. Insgesamt leitete er jetzt acht Filialen und hatte sich als Umzugsunternehmer mittlerweile bundesweit einen Namen gemacht.
    Es kam häufig vor, dass er Kunden auch am Wochenende aufsuchte. Viele seiner Klienten waren wochentags viel zu beschäftigt und gestresst, um sich in Ruhe mit der komplizierten Planung und Organisation eines Umzugs zu befassen. So auch Dr. Schönfeld, mit dem er um sechzehn Uhr verabredet war.
    Johannes fuhr der Sonne direkt entgegen. Und obwohl das grelle Licht blendete, raste er über die Landstraße und reizte die Geschwindigkeit in den Kurven voll aus. Es war wenig Verkehr, streckenweise fühlte er sich völlig allein auf der Welt und summte leise vor sich hin. Eine Melodie von Glenn Miller, die ihm schon seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf ging.
    In der Schorfheide hinter Vogelsang zog eine Harley an
ihm vorbei. Ein Wahnsinniger, dachte Johannes, der muss komplett verrückt geworden sein … Er konnte den Gedanken nicht zu Ende bringen, da sah er das Unheil schon vor Augen. Ein dunkler Geländewagen kam ebenfalls mit hohem Tempo von rechts aus einem Feldweg. Halt an, schrie Johannes’ Verstand, halt an! Aber der Geländewagen hielt nicht an, sondern schoss über die Straße.
     
    Carolina drückte aufs Gas. Sie hatte die schwere Maschine voll in ihrer Gewalt, der Rausch der Geschwindigkeit war Balsam für ihre Seele. Je schneller sie fuhr, umso mehr hatte sie das Gefühl, dass die Zeit stillstehen würde. Wie die Schwerelosigkeit in einem durchs Weltall schießenden Raumschiff. Kein Gedanke mehr an Andi, nur die Lust auf einen völligen Neuanfang.
    Das Leben war einzigartig und voller Möglichkeiten. Ihr Herz klopfte vor Freude, und sie erhöhte das Tempo.
    Der Wagen war wie ein schwarzer Berg, der den Himmel verdunkelte. Er kam von rechts auf sie zu und schob sich als plötzlich auftretende Wand zwischen Carolina und ihr Leben. Sie begriff in diesem Moment, dass sie verloren hatte. Sie glaubte zu fallen, aber das war ein Irrtum. Sie flog.
     
    Johannes sah noch, wie der Motorradfahrer eine Vollbremsung versuchte, aber die Kontrolle über seine schleudernde Maschine verlor. Die schwere Harley überschlug sich mehrmals und drehte sich in der Luft wie ein Rad, das ins Trudeln gerät. Schemenhaft sah er die Gestalt des Motorradfahrers durch die Luft fliegen, losgelöst von seinem Sitz, aber doch in der Nähe der Maschine, wie durch ein unsichtbares Seil gehalten.
    Johannes wusste hinterher nicht mehr, wie er selbst in
seinem Wagen zum Stehen gekommen war. Irgendwann war alles gespenstisch still. Der Geländewagen, dem der Motorradfahrer im letzten Moment ausgewichen war, war verschwunden. Weit hinten im Feld sah er das Motorrad, zumindest Teile davon, und auf der Wiese lag der

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