Die Totengräberin - Roman
Apparat.
»Stefano Topo?«, fragte er flüsternd, und Topo fuhr es eiskalt den Rücken hinunter.
»Am Apparat«, meinte er und versuchte ausgeschlafen und munter zu klingen, so als würde er schon seit drei Stunden am Computer sitzen.
»Sie sind entlassen«, sagte Perrini noch leiser und gefährlicher.
»Warum?«, röchelte Topo und musste sich setzen.
»Kennen Sie Maria Cecci?«
Den Namen hatte Topo schon mal gehört, aber er wusste jetzt in diesem Moment beim besten Willen nicht wo.
»Nein«, antwortete er zaghaft.
»Das sollten Sie aber. Maria Cecci hat den Roman ›23. April, 11 Uhr 45‹ geschrieben, den Sie rezensiert haben.«
»Ach, ja richtig.« Topo spürte förmlich, dass er blass wurde.
»Diese ›Schwarte‹, wie Sie es genannt haben, handelt von einem zutiefst verunsicherten Menschen, der sein Leben lang verletzt und gedemütigt worden ist und plant, in den Kindergarten eines kleinen Ortes einzudringen, um alle Kinder zu erschießen. Es ist die äußerst sensible Auseinandersetzung mit der Psyche eines schwer kranken Mannes.«
»Das ist mir klar«, meinte Topo.
»Halten Sie gefälligst den Mund«, zischte Perrini scharf und gar nicht mehr so leise. »Zu dem Amoklauf kommt es gar nicht, er wird im letzten Moment verhindert. Wie, werde ich Ihnen nicht verraten, sicher werden Sie das Buch noch lesen, jetzt, nachdem Sie den Verriss geschrieben haben. Es spritzt jedenfalls kein Gehirn über die Straße und verschmiert auch keine Autoscheiben. Im Gegensatz zu Ihnen kenne ich das Buch mit der Klein-Lieschen-Psychologie, wie Sie es so hübsch nennen, sehr genau. Dieses ausgesprochen kluge und hochinteressante Buch, das Ihnen zum Trotz in den Bestsellerlisten gelandet ist, stammt nämlich von der Frau meines langjährigen Golfpartners.«
Topo wurde es eiskalt. »Oh.«
»Ja. Ich glaube, jede weitere Erklärung erübrigt sich. Buongiorno, Signore Topo.«
Topo hauchte seinerseits ein Buongiorno, aber Perrini hatte schon aufgelegt.
Er schlug wütend mit der Faust auf den Tisch. Das war nun aber auch ausgemachtes Pech. Wer konnte denn ahnen, dass die Schlampe eines hirnverbrannten Golfspielers, der auch noch der Freund des Chefredakteurs war, unter Pseudonym irgendwelche schwachsinnigen Bücher herausbrachte!
Zum Teufel mit dieser ganzen verdammten Redaktion!
Aber jetzt wurde es eng. Er musste dringend eine neue Geldquelle auftun. Und einen derart lukrativen Job mit so wenig Arbeit und Zeitaufwand würde er sicher so schnell nicht wiederfinden.
Unter der Dusche beschloss Topo, die beiden Bücher, die das ganze Unglück heraufbeschworen hatten, am Abend im Kamin zu verbrennen.
In der Bar trank er einen Espresso und zwei doppelte Grappa, um das Dröhnen in seinem Kopf zu betäuben, das immer stärker wurde. Einem Gespräch mit dem Wirt ging er aus dem Weg, er hatte das Gefühl, nicht mehr klar denken und umso weniger deutlich formulieren zu können.
Er wollte gerade gehen, als Rosita in die Bar kam. Sie lächelte ihm freundlich zu, bestellte sich einen Espresso und setzte sich mit dem Kaffee zu Topo an den Tresen.
»Wie geht es dir?«, fragte sie.
»Abbastanza bene«, meinte er, »so einigermaßen.«
Rosita nickte. »Das ist das Schlimmste. Die ganzen persönlichen Sachen zu sichten und zu sortieren. Da stolpert man im Grunde auch durch sein eigenes Leben, und dann kommen Dinge wieder hoch, die man schon längst vergessen hatte.«
Topo nickte. »So ist es.«
Rosita sah ihn mitfühlend an. »Kann ich dir irgendwie helfen?«
»Ich glaube nicht. Nein. Aber es ist nett, dass du fragst.«
»Was ist mit Beo passiert? Sein Käfig ist leer.«
»Er ist gestorben.« Topo seufzte. »Ich glaube, an gebrochenem Herzen, weil Mutter nicht mehr da ist. Solche Tiere
sind ja sensibler, als man denkt. Plötzlich lag er tot auf der Erde.«
»Schade um den wunderschönen Vogel.« Rosita bestellte sich noch ein Mineralwasser und einen Schokoriegel.
Topo wusste, dass sie weiterreden wollte, und er wollte sie auf keinen Fall vor den Kopf stoßen. Sie hatte wirklich viel geholfen. Allerdings hatte er auch keine Lust, noch länger über seine Mutter und Beo zu reden.
Rosita war ein Mensch, der keine fünf Minuten ruhig auf einem Stuhl sitzen konnte, sondern ständig irgendetwas zu tun haben musste. So hatte sie sich - als ihre Kinder aus dem Haus gegangen waren und ihr eine Aufgabe fehlte - ehrenamtlich engagiert, wo sie nur konnte. Sie sang im Chor, stickte im Handarbeitsverein, half bei der Misericordia, indem
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