Die Totengräberin - Roman
ziehen, und legte den flachen Stein aufs Gesicht. Der Gestank
brachte ihn fast um, und er würgte unaufhörlich, während er das Loch wieder zubuddelte. Als er fertig war, glättete er sorgfältig die Erde über dem Grab.
Er stand auf und klopfte sich die Erde von seiner Hose. Es interessierte ihn nicht mehr, wie die oberen Räume aussahen, er wollte nur noch nach Hause, sich duschen und umziehen, um den Gestank und den Ekel loszuwerden und um in Ruhe zu überlegen, was nun zu tun war.
Der Mann der Signora war der Tote. Da war er sich sicher. Umgebracht von ihrem Liebhaber. So viel stand für ihn fest. Und Topo spürte, dass der Fund dieser Leiche seine große Chance sein könnte, wenn er es geschickt anstellte und jetzt keinen Fehler machte. Auf jeden Fall durfte er nicht zur Polizei gehen.
Das Wunderbare war, dass er zusammen mit der Signora ein Geheimnis hatte. Und dies galt es zu nutzen. Er wusste nur noch nicht, wie.
Auf dem Weg nach Ambra fuhr ihm plötzlich ein eiskalter Schauer über den Rücken. Die Visitenkarte. Ohne die Tür aufzubrechen, hatte er keine Chance, sie zurückzuholen. Also würden sie wissen, dass er da gewesen war. Sein Puls raste. Er musste anhalten, weil ihm schwindlig wurde. Wenn es ihm nicht gelang, den Spieß umzudrehen, gab es für ihn von nun an keine ruhige Minute mehr.
Ganz in Gedanken zupfte er an seiner Nase. Seine Finger stanken nach Tod und Verwesung. Er öffnete die Tür und musste sich noch einmal übergeben, obwohl sein Magen so leer war, dass er nur noch Galle spucken konnte.
Langsam fuhr er weiter. Scharf nachdenken, Topo, ermahnte er sich. Panik ist das Allerletzte, was du jetzt brauchen kannst. Gut, er hatte einen Besuch machen wollen, niemanden angetroffen und einen Gruß hinterlassen. Dies
war alles noch nicht außergewöhnlich. Anschließend hatte er eine Leiche gefunden, aber er hatte das Grab wieder zugeschaufelt und genauso hinterlassen, wie er es vorgefunden hatte. Das Mörderpaar konnte also nicht wissen, was er gesehen hatte.
So wie er waren vielleicht auch noch andere am Haus gewesen und unverrichteter Dinge wieder weggegangen. Der Besuch am Haus und das Auffinden der Leiche hatten nichts miteinander zu tun, waren zwei völlig verschiedene Schuhe.
Er konnte sich beruhigen.
Es war nichts passiert und nichts verloren. Im Gegenteil.
37
Keiner hatte ihn gesehen, niemand konnte sich an ihn erinnern, in keinem der Hotels war er Gast gewesen.
»Was machen wir jetzt?«, fragte Magda, als sie auf der Piazza della Rotonda vor dem Pantheon standen, »ich kann nicht mehr. Du hattest völlig recht: Niemand weiß irgendwas, die Fragerei ist vollkommen sinnlos.«
»Wenn du dich wenigstens an den Namen von dem Freund erinnern könntest«, meinte Lukas, »dann hätten wir zumindest einen winzigen Anhaltspunkt.«
»Das ist so verflucht schwierig … Was mich nicht interessiert, das merke ich mir auch nicht. Roberto weiß ich ja noch, aber den Nachnamen nicht. Ich bringe diese italienischen Namen sowieso alle durcheinander. Fondelli, Fontini, Fortini, Feltrini, Ferrucci, Frecconi … Der Name fing mit F an. Alles andere krieg ich nicht mehr zusammen.« Sie seufzte und wirkte sehr resigniert. »Vielleicht war es ja doch ein Fehler hierherzukommen. Wir vergeuden unsre Zeit.«
»Das glaube ich nicht.« Lukas legte seinen Arm um Magdas Schultern. »Wären wir nicht gefahren, hättest du dir ewig Vorwürfe gemacht, irgendetwas unversucht gelassen zu haben.«
Magda nickte. »Ja. Wahrscheinlich. Lukas, ich kann keinen
einzigen Schritt mehr laufen. Lass uns ein Taxi nehmen und ins Hotel fahren. Ich möchte duschen, eine halbe Stunde schlafen, und dann können wir uns ein schönes Restaurant suchen.«
Lukas nickte, obwohl ihm bei dem Gedanken übel wurde, jetzt in dieses schreckliche Zimmer zurückkehren zu müssen.
Aber als er sich zwanzig Minuten später auf dem Bett ausstreckte und die Augen schloss, gelang es ihm zu vergessen, wo er war. Es dauerte nur wenige Sekunden, und er war fest eingeschlafen.
Um neunzehn Uhr wachte er auf, stieg mit Todesverachtung in die enge, verschimmelte Dusche, zog sich um und klopfte um halb acht an Magdas Tür.
Er trug ein sportlich-elegantes Leinenjackett, das sie noch nie an ihm gesehen hatte und das ihm ausgesprochen gut stand. Einen Moment war sie sprachlos. Dann lächelte sie und sagte: »Lass uns ins La Rosetta gehen, ich hab gelesen, da soll es die besten Fischgerichte Roms geben.«
Magda bestellte im La Rosetta Pasta
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