Die Totengräberin - Roman
sie alte Leute zum Arzt fuhr oder ins Krankenhaus brachte, kümmerte sich um Albina und kochte beim Dorffest. Sie war ständig hilfsbereit und vergnügt und schien über eine schier unerschöpfliche Energie zu verfügen. Es gab keinen im Dorf, den sie nicht kannte, über jede Krankheit, jedes Drama, jeden Schicksalsschlag wusste sie Bescheid.
Aus reiner Neugier und weil ihm nichts Besseres einfiel, fragte Topo Rosita nach der Signora von La Roccia. Rosita riss die Augen auf.
»Ja, weißt du es denn nicht?«, fragte sie.
»Was soll ich denn wissen?«
»Die Signora vermisst ihren Mann. Sie war sogar bei der Polizei und hat eine Vermisstenanzeige aufgegeben.«
»Seit wann?«
»Ach …«, Rosita überlegte, »das weiß ich nicht genau, aber es ist schon ein Weilchen her. Zwei, drei Wochen bestimmt. Schrecklich, so was.«
»Ja. Furchtbar.«
Topo konnte nichts mehr sagen, aber seine Gedanken rasten. Der Mann, der bei ihr war, war also gar nicht ihr Mann? Aber wer war es dann? Ihr Freund, ihr Geliebter?
»Aber wieso interessiert die Signora dich?«, fragte Rosita weiter.
»Nur so, ich hab sie vor Kurzem zufällig kennengelernt. Aber sie war nicht allein. Ich hab sie zweimal getroffen, und da war jedes Mal ein Mann bei ihr.«
»Na, vielleicht ist ihr Mann wieder da? Kann ja sein. Ich hab lange nichts mehr von der Geschichte gehört. Ciao, Stefano, wir sehen uns. Komm doch noch mal auf ein Glas Wein vorbei, bevor du zurück nach Florenz fährst!«
»Mach ich, Rosita. Danke. Und lass das mit dem Kaffee, den übernehme ich.«
Rosita grinste erfreut, winkte ihm kurz zu und verließ die Bar.
Wenig später setzte sich Topo ins Auto und fuhr nach La Roccia. Er wollte sie sehen, denn jetzt interessierte ihn die Frau erst recht. Ihm war klar, dass sie ihn niemals anrufen würde, also musste er ein bisschen nachhelfen. Einfach Guten Tag sagen, einen Kaffee trinken, eine Viertelstunde reden, sich besser kennenlernen. Ein kleiner nachbarschaftlicher Besuch. Wie angekündigt. Mehr nicht. Aber vielleicht konnte er herausfinden, ob ihr Mann wirklich wieder aufgetaucht war.
Auf La Roccia war alles still. Ein Wagen stand vor dem Haus. Wahrscheinlich hatten sie zwei und waren unterwegs. Er spürte sofort, dass niemand zu Hause war, aber betrat dennoch das Grundstück. Im warmen Sonnenlicht lag das Haus vollkommen verlassen da.
Topo ging langsam zum Haus und klopfte an die Terrassentür. Es blieb alles still. Als er dies noch zweimal wiederholt hatte, ging er um das Haus herum und sah in jedes Fenster.
Als Kind hatte er ab und zu auf La Roccia gespielt, denn das Haus war schon damals unbewohnt und eine Ruine gewesen. Er konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie die verwohnten und verrotteten Räume ausgesehen hatten, und was er jetzt sah, erstaunte ihn nicht nur, es raubte ihm den Atem. Neidvoll musste er zugeben, dass die Küche wunderschön geworden war. Sie strahlte Wärme und Ruhe aus und hatte eine Atmosphäre, die er in ähnlicher Weise noch in keinem italienischen Haus gesehen hatte. Er wollte sich selbst nicht eingestehen, wie beeindruckt er war. Die Signora und ihr Mann hatten an nichts gespart. Jedes Detail war von hoher Qualität, das fiel Topo sofort auf. Die Armatur der Spüle hatte mit großer Wahrscheinlichkeit ein Vermögen gekostet. Dafür bekam man lässig fünf normale Armaturen beim Baustoffhändler. Er wagte sich gar nicht auszumalen, wie die übrigen Räume eingerichtet waren.
Topo sah sich um, ob irgendwo eine Leiter herumlag, er hätte zu gern einen Blick in die Räume im oberen Stockwerk geworfen, aber er konnte keine entdecken. Daraufhin kontrollierte er alle Türen. Doch sogar die Magazintür war fest verschlossen.
Da er unbedingt wollte, dass die Signora wusste, dass er sich die Mühe gemacht hatte, nach La Roccia zu fahren, nur um sie zu sehen und zu besuchen, schrieb er einen Gruß auf seine Visitenkarte und schob sie unter der Tür durch.
Er beschloss, einen Rundgang durch den Garten zu machen.
Vielleicht lehnte ja doch zufälligerweise eine Leiter an einem Baum.
Das Auto, das vor dem Haus stand, war ein schwarzer Golf. Fünf oder sechs Jahre alt, schätzte Topo, aber in gutem Zustand. Das Innere des Wagens war sauber, wahrscheinlich wurden Sitze und Fußboden regelmäßig gesaugt. Er versuchte den Kofferraum zu öffnen, aber auch der war abgeschlossen. Diese dämlichen Deutschen, fluchte er innerlich, mit ihrer krankhaften Phobie beklaut zu werden. Italiener schlossen ihre Autos
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