Die Totengräberin - Roman
mit kleinen Tintenfischen und Bottarga, sardischem Fischrogen, Lukas aß ein Safran-Risotto mit Mozzarella und anschließend eine ausgezeichnete Fischsuppe, eine Spezialität des Hauses.
Lukas steckte gerade eine Gräte zwischen Zahn und Zahnfleisch, als sein Handy klingelte. Magda ging für ihn an den Apparat.
»Ja, Hildegard, ich grüße dich. Wie geht es euch?«
»Gut. Oder besser: den Umständen entsprechend. Gibt es etwas Neues?«
»Ja. Wir sind in Rom. Wir suchen ihn. Klappern Hotels, Restaurants und Sehenswürdigkeiten ab. Alles, was uns einfällt.«
»Das ist gut, Kind, das ist gut.« Hildegard stockte. »Habt ihr schon irgendetwas herausgefunden?«
»Nein, noch nichts. Aber ich schwöre dir - und ich glaube, ich hab’s dir schon hundertmal geschworen: Wenn wir etwas wissen, melden wir uns.«
»Es ist schwer zu ertragen«, sagte Hildegard leise.
»Ich weiß.« Nach einer Pause fügte Magda noch hinzu: »Bitte grüß Richard von mir, und dann tschüss, bis bald.« Damit legte sie auf.
Hildegards Stimme hatte nicht schrill geklungen, sondern hoch und dünn. Unsicher, verzweifelt und hoffnungslos. So wie die Stimme ihrer Mutter, wenn ihr Vater anrief und sie beide aus dem Haus jagte, weil er die Wohnung für sich und Jemand brauchte. Zwei- bis dreimal in der Woche mussten Magda und ihre Mutter regelrecht von zu Hause fliehen und bei Tante Helga übernachten, um Platz zu machen für Vaters Geliebte.
An einem Donnerstag - Magda wollte ihre Schularbeiten am Abend machen und zog sich gerade um, um mit ihrer Freundin Rita Rollschuhlaufen zu gehen - rief ihr Vater an. Obwohl ihre Mutter den Hörer am Ohr hatte, hörte Magda seine laute Stimme und sah, wie nervös ihre Mutter wurde. Sie drehte die Telefonschnur um ihren rechten Zeigefinger zu einem dicken Ballen, um sie sofort danach aufzulösen und wieder neu aufzudrehen, ging auf einem Quadratmeter aufgeregt hin und her und war den Tränen nahe. Am Ende des Telefonats sagte sie nur: »Ja«, und legte auf.
»Los, pack deine Sachen und zieh dich an! Papa hat angerufen, wir müssen zu Tante Helga.«
»Aber Rita wartet auf mich! Wir wollten Rollschuhlaufen gehen!«
»Dann ruf sie an und sag ihr ab.«
Magda stampfte wütend mit dem Fuß auf. »Das ist gemein!«
»Tu, was ich dir sage, und beeil dich.« Die Stimme ihrer Mutter war kraftlos. Magda spürte, dass sie mit ihrer Wut ihre Mutter nur noch verzweifelter machte.
Als Erstes rief sie Rita an und sagte ihr ab.
»Du hast ja nie mehr Zeit! Das ist zum Kotzen!«, maulte Rita. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich gleich mit Nina verabredet. Warum kannst du denn schon wieder nicht, zum Teufel?«
»Ich muss mit meiner Mutter weg.«
»Ach Gott, wie niedlich!«, spottete Rita. »Die Kleine muss mit Mami weg. Wohin denn? Händchen halten beim Spazierengehen?«
»Du bist eine so blöde Kuh!«
»Na, dann sag mir doch, wo du hingehst!«
»Zu meiner Tante.«
»Kaffee und Kuchen essen? Na, das is ja spannend!«, spottete Rita weiter.
»Du kannst mich mal!«, zischte Magda und beschloss, nie wieder ein Wort mit Rita zu wechseln.
»Und du kannst mich schon lange.« Rita knallte den Hörer auf die Gabel.
»Bist du fertig? Können wir gehen?«, drängte ihre Mutter.
»Noch nicht! Ich kann ja nicht hexen!«, schrie sie, und ihre Mutter fing an zu weinen.
Dann stand sie zweifelnd vor dem Schrank. Heute hatte sie nur eine Bluse angehabt und in der Schule gefroren. Vielleicht sollte sie morgen lieber einen Pullover anziehen? Aber sie fand keinen, der ihr gefiel. Das Problem war, dass ihr ihre Sachen nie gefielen, wenn sie schlechte Laune hatte. Und Rita und ihre Mutter hatten ihr die Laune gehörig verdorben.
Sie packte schließlich beides in ihre Tasche: eine Bluse und einen Pullover, denn sie hatte keine Ahnung, wie morgen das Wetter werden würde. Dazu frische Unterwäsche und ein neues T-Shirt für den Sport. Und Söckchen. Am liebsten hätte sie die braunen Schuhe mit den dünnen Riemchen angezogen, aber die drückten an den Hacken, und von Tante Helga war der Weg zur Bushaltestelle weiter. Also nahm sie lieber ihre rosafarbenen Turnschuhe mit.
Und ein Buch. Das war das größte Problem. In dem Abenteuerroman, den sie gerade las, fehlten nur noch vierzig Seiten bis zum Schluss. Das würde für den Abend nicht reichen. Sie stand unschlüssig vor dem Bücherregal, als ihre Mutter schon fast hysterisch brüllte: »Nun komm doch endlich! Was machst du denn so lange?«
»Gleich!«, brüllte
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