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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Thiesler
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Magda zurück und wusste immer noch nicht, welches Buch sie außerdem noch mitnehmen sollte. Und ihre Schulsachen hatte sie auch noch nicht gepackt. Es war zum Verzweifeln.
    Zwölf Minuten später - ihre Mutter ging im Wohnzimmer auf und ab und hatte hektische rote Flecken im Gesicht - zog Magda gerade die diversen Reißverschlüsse ihrer Schultasche zu, als sie hörten, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte.
    »Oh mein Gott!«, stöhnte ihre Mutter leise und hielt den Atem an.

    Auch Magda stand mit ihrer Schultasche in der Hand bewegungslos im Raum.
    Offensichtlich dachten Magdas Vater und Jemand, sie wären bereits allein in der Wohnung. Wenn er Magdas Mutter anrief, sagte er stets: »Ich bringe heute Jemand mit. Also seht zu, dass ihr schleunigst verschwindet.«
    Er warf seine Wohnungsschlüssel im Flur auf die Kommode und murmelte etwas, das im Wohnzimmer nicht zu verstehen war. Dann gab er ein paar Geräusche von sich, die etwas Tierisches an sich hatten, sie klangen wie ein wollüstiges Grollen, und prompt quietschte Jemand und kicherte anschließend.
    Anita war leichenblass und sah ihre Tochter hilflos an.
    Magda zuckte mit den Schultern und presste die Lippen aufeinander, was ausdrückte: Ich weiß doch auch nicht, was wir jetzt machen sollen, Mama.
    Schließlich sagte ihre Mutter todesmutig und halblaut: »Wolfgang?«
    Im Flur war es still. Keine brunftigen Töne, kein verhaltenes Lachen mehr, und zwei Sekunden später stand Wolfgang in der Tür. Er zitterte vor Zorn.
    »Was denn? Ihr seid noch nicht weg?«, schrie er. »Was bildet ihr euch denn ein? Hatte ich nicht gesagt, ihr sollt um drei verschwunden sein? Jetzt ist es Viertel nach!«
    »Entschuldige«, stotterte Anita. »Wir gehen ja schon. Komm, Magda.«
    Wie ein geprügelter Hund schlich sie an ihrem Mann vorbei, und Magda folgte mit der prall gefüllten Tasche.
    Im Flur stand Jemand, lässig an die Kommode gelehnt, und schob sich in dem Moment, als Magdas Mutter sie ansah, die Sonnenbrille über die Augen.
    Anita hielt einen Moment inne, als könne sie ihren ganzen
Hass mit diesem einen Blick loswerden - dann ging sie an ihr vorbei und verließ die Wohnung.
    Auf der Fahrt zu Tante Helga sprach ihre Mutter kein einziges Wort. Aber sie weinte die ganze Zeit.

38
    Magda und Lukas schlenderten durch das nächtliche Rom. Es war eine angenehm laue Nacht, und sie genossen den halbstündigen Spaziergang vom Restaurant bis zu ihrem Hotel. Auf den Straßen war viel Betrieb, in den Bars bekam man draußen vor der Tür kaum einen Platz.
    »Wollen wir noch irgendwo was trinken?«, fragte Lukas. »Ich glaube, ich kann jetzt noch nicht schlafen. Bin viel zu aufgekratzt.«
    »Gut, lass es uns am Tiber versuchen. Ich würde gern noch ein bisschen am Wasser sitzen.«
    Sie fanden einen freien Tisch in einer kleinen Osteria nahe der Ponte Umberto I. Die Lichter der Stadt spiegelten sich flirrend im Wasser des Flusses, und Magda entspannte sich.
    »Was für eine traumhafte Nacht. Das ist die Belohnung für die vielen Enttäuschungen heute Nachmittag.«
    Aus der Bar erklang die Titelmelodie aus dem Film »Der Pate«, und es schien, als würden die Töne über das Wasser wehen, eine perfekte Kulisse für diese melancholische Musik.
    »Johannes hat diesen Film geliebt«, sagte sie, »ich weiß nicht, wie oft er ihn sich angesehen hat. Zigmal. Die lange Fassung, den Director’s Cut, kannte er fast auswendig.
Wenn du irgendwo eingeschaltet hast, wusste er immer ganz genau, was gerade passiert ist, wer mit wem momentan befreundet ist, wer gegen wen kämpft, wer wen verraten hat und wer als Nächstes über die Klinge springen wird. Ich habe da nie durchgeblickt.«
    Sie sah übers Wasser und gab sich bei der Musik ihren Träumen und Erinnerungen hin.
    Lukas sagte kein Wort, aber er nahm ihre Hand in die seine.
    Als das Lied längst zu Ende war, summte er die Melodie noch einmal. Nur für sie.
    »Komm«, sagte sie, als sie ihr Glas ausgetrunken hatte, »es wird kühl. Lass uns gehen.«
     
    Auf dem Hotelflur hatten sie sich mit Wangenküssen und einer Umarmung getrennt, und Lukas erschien ihr bedrückt, als sie die Tür zu ihrem Zimmer hinter sich schloss.
    In seinem Zimmer schaltete er den Fernseher ein. Drei italienische Programme standen zur Auswahl. In einem lief ein drittklassiger amerikanischer Western, eine Musiksendung im zweiten und eine Quizsendung im dritten Programm. Lukas schaltete den Fernseher wieder aus und sah in die Mini-Bar, die jedoch nur Säfte,

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