Die Totengräberin - Roman
Blick über die Stadt, aber sein Domizil war kein Statussymbol. Bisher hatte er es stets vermieden, Personen, von denen er etwas erwartete, in diese Wohnung einzuladen. Lediglich ein paar Frauen kannten seine Adresse. Aber diese hatte er nur ins Schlafzimmer geführt, und er wusste, dass es kein zweites Mal, keine Wiederholung geben würde.
Seine Mutter hatte er jetzt, wenige Tage nach ihrem Tod, fast schon vergessen. Er erinnerte sich nur an sie, wenn er ihr Haus betrat oder in seinem verhassten Kinderzimmer übernachtete. Auch sie war ihm nicht wirklich wichtig gewesen.
Aber dieses Paar auf La Roccia war etwas Besonderes. Heute Abend begann das Spiel, und er war der Regisseur. Dies war eines der Abenteuer, für die es sich lohnte zu leben.
Topo fuhr um halb sieben aus Florenz los. Er trug Jeans, ein weißes, weites, offenes Hemd und darüber eine schwarze Lederweste. Für Magda hatte er einen Rosenstrauß und für Johannes einen teuren Grappa dabei. Das Fenster seines Wagens war weit heruntergekurbelt, sein Ellenbogen lag lässig in der Tür, er hörte das Violinkonzert Nummer eins von Mozart, und sein Haar wehte im warmen Abendwind.
Magda hatte Lukas gebeten, das sandfarbene Seidenjackett anzuziehen, das sie besonders liebte. »Oh«, sagte sie, als er hineinschlüpfte, »du bist etwas breiter geworden! Es spannt ein bisschen. Aber egal. Du kannst es trotzdem anbehalten.«
Diese Bemerkung trug nicht gerade dazu bei, Lukas’ Selbstbewusstsein zu stärken, zumal Magda fantastisch aussah. Sie trug eine locker fallende beigefarbene Seidenhose und dazu ein knappes Top in derselben Farbe, aber leicht
schimmernd. Diese Kombination hatte Lukas noch nie an ihr gesehen.
Er wollte ihr gerade ein Kompliment machen, als sie Topos Wagen den Weg heraufkommen hörten und Magda nach draußen ging, um ihn zu begrüßen.
Topo hielt an, schwang sich elegant aus dem Wagen, hatte dabei den Rosenstrauß in der Hand und rief: »Signora Tillmann! Sie überraschen mich immer wieder! Seit unserer letzten Begegnung sind sie ja noch schöner geworden!«
Magda errötete leicht und fühlte sich geschmeichelt.
Er hauchte ihr Luftküsse rechts und links auf die Wangen und überreichte ihr mit einer angedeuteten Verbeugung den Strauß. »Herzlichen Dank für die Einladung.«
»Wie schön, dass Sie gekommen sind«, erwiderte Magda und lächelte charmant.
Erst jetzt schien Topo Lukas zu bemerken. Er reichte ihm die Hand und meinte: »Buonasera, Signore Tillmann.«
Lukas murmelte seinerseits ein »Buonasera« und nahm die Flasche Grappa dankend entgegen.
Sie gingen hinein. Magda führte ihn durchs Haus. Topo war überaus interessiert, er schien jede Kleinigkeit zu bemerken und sparte nicht mit Komplimenten. Zu allem sagte er: »Bello«, »bellissimo«, »bravo«, »bravissimo«, »complimento«, »fantastico« und »meraviglioso«…-Magda war diese Euphorie schon fast peinlich.
Anschließend nahmen sie auf der Terrasse vor dem Haus Platz. Magda hatte sich mit dem Menü selbst übertroffen, und Lukas musste innerlich zugeben, dass es wirklich Spaß machte zu sehen, wie Topo jeden einzelnen Bissen genoss und zu schätzen wusste.
Da sich Topo keine Mühe gab, Lukas auf Englisch in das Gespräch mit einzubeziehen, war Lukas sehr schweigsam.
Er kümmerte sich um die Getränke und goss Topo ständig nach, da er hoffte, dass er dadurch müde werden und sich bald auf den Heimweg machen würde. Aber das geschah nicht. Topo schien der Wein nicht das Geringste auszumachen. Mit jedem Glas wurde er gesprächiger, geistreicher, fröhlicher. Lukas hatte nicht das Gefühl, dass sich Magda und Topo nur unterhielten - für ihn war es ein Flirt, der sich über mehrere Stunden hinzog. Insgeheim bewunderte Lukas Magda, dass sie dazu in einer fremden Sprache derartig perfekt in der Lage war.
»Ich finde, wir sollten uns duzen«, sagte Magda, als sie als zweiten Gang ein Pastagericht serviert hatte. »Was haltet ihr davon?«
»Wunderbar«, meinte Topo und prostete ihr zu. »Ich heiße Stefano.«
»Magda.«
Topo stand auf und küsste sie auf die Wange. Dann wandte er sich Lukas zu.
»Entschuldige, aber ich habe deinen Namen vergessen.«
»Johannes«, flüsterte Lukas, und ihm wurde übel.
»Salute, Johannes!« Topo stieß mit ihm an und setzte sich wieder. »Ich freue mich wirklich, dass ich hier in dieser Gegend so nette, interessante und intelligente Menschen kennengelernt habe.«
Magda fühlte sich geschmeichelt. »Uns geht es genauso,
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