Die Totenleserin1
Vagabund, der in einem namenlosen Loch irgendwo im ägyptischen Sand verscharrt werden konnte. Seine Familie würde seinen Körper brauchen, um die Bestattungszeremonien zu vollziehen. »Und außerdem hatte ich ihm versprochen, ihn nach Hause zu bringen.«
Und so beging Rowley den Fehler, der ihn, wie er sagte, noch bis in Grab verfolgen würde. »Möge Gott mir vergeben, aber ich spaltete unseren Reisezug auf.«
Um schneller voranzukommen, beschloss er, die beiden jungen Geiseln dort zu lassen, wo sie waren, während er und De Vries zusammen mit ein paar Dienern den Leichnam schnellstens zurück nach Baharia bringen würden, um dort hoffentlich einen Einbalsamierer zu finden. »Wir waren schließlich in Ägypten, und Herodot erläutert ziemlich detailliert und widerwärtig, wie die Ägypter ihre Toten konservieren.«
»Ihr lest Herodot?«
»Sein ägyptisches Zeug, da erfährt man viel über Ägypten.«
Gott segne ihn, dachte sie. Der Mann zieht mit einem tausend Jahre alten Reiseführer durch die Wüste.
Er fuhr fort: »Sie waren zufrieden mit der Entscheidung, die Jungen, meine ich, ganz unbekümmert. Sie hatten die beiden Krieger, die Hakim mitgesandt hatte, zum Schutz, reichlich Diener und Sklaven. Ich ließ ihnen Guiscards herrlichen Falken da, mit dem sie jagen konnten, während wir fort waren – sie waren nämlich beide begeisterte Falkner. Nahrung, Wasser, Pavillons, Schutz in der Nacht. Und obendrein schickte ich einen der arabischen Diener zu Hakim, damit der erfuhr, was geschehen war und wo sich die Jungen befanden, nur für den Fall, dass mir irgendetwas passierte.«
Eine Liste von Entschuldigungen; er war sie wohl bereits tausendfach durchgegangen. »Ich dachte, wir wären es, die ein Risiko eingingen, De Vries und ich, weil wir nur zu zweit waren. Die Jungen hätten eigentlich in Sicherheit sein müssen.« Er wandte sich ihr zu, als wollte er sie schütteln.
»Verdammt, es war ihr Land.«
»Ja«, sagte Adelia.
Hinten aus dem Garten, wo Simons Grab geschaufelt wurde, ertönten die regelmäßigen Spatengeräusche. Sie mochten sicher dreitausend Meilen weit entfernt sein von dem Glutofen aus heißem Sand, doch inzwischen bekam Adelia kaum noch Luft.
Die Sänfte mit Guiscards Leichnam wurde zwischen zwei Packtieren mit Pferdegeschirr verzurrt, dann brachen Sir Rowley Picot und sein Ritterfreund mit nur zwei Maultiertreibern auf und ritten so schnell sie nur konnten davon.
»Es stellte sich heraus, dass es in Baharia keinen Einbalsamierer gab, aber ich konnte einen alten Schamanen auftreiben, der für mich das Herz herausschnitt und es in Essig einlegte, während der übrige Körper bis aufs Skelett herunter gekocht wurde.«
Das Ganze dauerte länger, als Rowley erwartet hatte, doch endlich ritten er und De Vries, mit Guiscards Knochen in einer Tasche und seinem Herzen in einem fest verschlossenen Krug, wieder zurück zur Oase, der sie sich am achten Tag, nachdem sie von ihr aufgebrochen waren, näherten.
»Wir sahen die Geier schon, als wir noch drei Meilen entfernt waren. Das Lager war geplündert worden. Alle Diener erschlagen. Hakims Krieger hatten sich tapfer zur Wehr gesetzt, ehe sie in Stücke gehackt wurden, und drei Plünderer getötet. Die Pavillons waren verschwunden, die Sklaven, die Güter, die Tiere.«
In der schrecklichen Stille der Wüste hörten die beiden Ritter ein Wimmern, das oben aus einer der Dattelpalmen kam. Es war Ubayd, der ältere Junge, er lebte und war äußerlich unverletzt.
»Der Überfall hatte in der Nacht stattgefunden, versteht Ihr, und in der Dunkelheit war es ihm und einem der Sklaven geglückt, auf die Palme zu klettern und sich zwischen den Wedeln zu verstecken. Der Junge war einen Tag und zwei Nächte dort geblieben. De Vries musste hochklettern und seine Hände vom Baum lösen, um ihn runterzuholen. Er hatte alles gesehen, er konnte sich nicht bewegen.«
Den achtjährigen Jaafar konnten sie dagegen nicht finden.
»Wir suchten noch immer nach ihm, als Hakim und seine Männer eintrafen. Etwa zur selben Zeit, da er meine Botschaft erhielt, erfuhr er auch, dass eine Bande von Plünderern in der Gegend unterwegs war, und war in Windeseile zu der Oase geritten.«
Rowleys großer Kopf neigte sich wie unter der Last einer schweren Schuld. »Er machte mir keine Vorwürfe. Hakim. Nicht ein Wort, nicht einmal später, als wir … das fanden, was wir fanden. Ubayd erklärte ihm alles, sagte dem alten Mann, dass es nicht meine Schuld war, aber in den letzten
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