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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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Brust.
    Ein schlammbespritztes Zugpferd schritt durch das Tor. Über seinen Rücken war ein schmutziges Stück Segeltuch gebreitet, und darunter malten sich drei kleine Bündel ab. Der Mann, derdas Pferd führte, ließ den Kopf hängen. Eine Frau folgte ihm, sie schrie und riss an ihren Kleidern.
    Die vermissten Kinder waren gefunden worden.

    Die Kirche St. Andrew the Less auf dem Grundstück des Klosters St. Augustine in Barnwell war zweihundert Fuß lang, eine gemeißelte und bemalte Lobpreisung Gottes. Heute jedoch missachtete das durch die hohen Fenster gedämpfte Frühlingslicht die Gesichter der liegenden steinernen Prioren entlang der Wände, die Statue des heiligen Augustinus, die reich verzierte Kanzel, die Pracht von Altar und Triptychon.
    Stattdessen fiel es in breiten Streifen auf die drei kleinen Katafalke im Kirchenschiff, die mit violetten Tüchern zugedeckt waren, und auf die Köpfe der Männer und Frauen, die in Arbeitskleidung drum herum knieten.
    Die sterblichen Überreste der drei Kinder waren am Morgen auf einer Schafweide am Fleam Dyke gefunden worden. Ein Schäfer war im Morgengrauen über sie gestolpert und zitterte noch immer. »Letzte Nacht lagen die noch nich da, das schwöre ich, Prior. Kann doch auch gar nich, oder? Die Füchse waren noch nich dran. Alle drei schön ordentlich nebeneinander, jawohl, Gott segne sie. Das heißt, wenn man da von ordentlich reden kann …« Er verstummte und musste würgen.
    Auf jeden Leichnam war ein Gegenstand gelegt worden, der an die Zeichen erinnerte, die man an den Orten gefunden hatte, wo die Kinder zuletzt gesehen worden waren. Aus Binsen geflochten und geformt wie ein Davidstern.
    Prior Geoffrey hatte die drei Bündel in die Kirche bringen lassen und eine verzweifelte Mutter daran gehindert, sie zu enthüllen. Er hatte den Sheriff in der Burg durch einen Boten vor der Möglichkeit eines erneuten Aufruhrs gewarnt und ihn gebeten, den Vogt in seiner Eigenschaft als Leichenbeschauerherzuschicken, der die sterblichen Überreste umgehend sichten und eine öffentliche Untersuchung anordnen solle. Er hatte für Ruhe gesorgt, obwohl Verzweiflung und Empörung allenthalben rumorten.
    Jetzt las er mit einer Stimme voller Heilsgewissheit die tröstenden Worte, dass der Tod von Herrlichkeit überwunden werde, woraufhin die schrillen Schreie der Mutter verstummten und sie nur noch leise schluchzte. »
Wir werden nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune.
«
    Der Duft der Glockenblumen, der durch das offene Tor hereindrang, und der im Innenraum verschwenderisch eingesetzte Weihrauch überdeckten beinahe den Verwesungsgestank.
    Der helle Gesang der Kanoniker übertönte fast das Summen der unter den violetten Überwürfen gefangenen Fliegen.
    Die Worte des heiligen Paulus linderten ein wenig den Kummer des Priors, als er sich die Seelen der Kinder vorstellte, wie sie über Gottes Auen tollten, nicht jedoch seinen Zorn darüber, dass sie viel zu früh dorthin katapultiert worden waren. Zwei von den Kindern hatte er nicht gekannt, aber einer der Jungen war Harold, der Sohn des Aalhändlers, der die zu St. Augustine gehörende Schule besucht hatte. Sechs Jahre alt und ein aufgewecktes Kind, das einmal die Woche kam, um Lesen und Schreiben zu lernen. Auffallend rotes Haar. Und ein richtiger kleiner Sachse; im letzten Herbst hatte er Äpfel aus dem Klostergarten geklaut.
    Und ich habe ihm dafür das Fell gegerbt, dachte der Prior.
    Adelia stand im Schatten einer Säule und beobachtete, wie sich auf den Gesichtern um die Katafalke ein wenig Trost zeigte. Die Nähe zwischen Kloster und Stadt mutete sie seltsam an. In Salerno bewahrten selbst die Mönche, die in die Welt hinauszogen,um ihre Pflichten zu erfüllen, stets eine gewisse Distanz zum Laienstand.
    »Aber wir sind keine Mönche«, hatte Prior Geoffrey ihr erklärt, »wir sind Kanoniker.« Der Unterschied erschien ihr unerheblich, schließlich lebten sowohl Mönche als auch Kanoniker in klösterlicher Gemeinschaft, gelobten Ehelosigkeit und dienten dem christlichen Gott, doch hier in Cambridge war die Unterscheidung bedeutsam. Als die Kirchenglocke das Auffinden der Kinder verkündet hatte, waren die Menschen aus der Stadt herbeigeeilt – um Trost zu suchen und zugleich Trost zu spenden.
    »Unsere Regel ist weniger streng als die der Benediktiner oder Zisterzienser«, hatte der Prior gesagt. »Wir verbringen weniger Zeit mit

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