Die Totenmaske
nicht hochschieben.
Zoe starrte ihn an. Sie verstand kein Wort. Gleichzeitig überkam sie eine Welle von Mitgefühl.
»Was meinst du damit?« Sie überlegte, ob er jetzt vollkommen verrückt geworden war.
Mit einem Ruck hatte er das Gewehr auf sie gerichtet. Zoes Rücken versteifte sich, als sie in die Mündung blickte. Ihr Herz setzte einen Atemzug lang aus. Instinktiv hob sie zur Abwehr beide Hände. Wenn es stimmte, dass er in sie verliebt war, würde er ihr nichts antun. Sie machte einen Schritt auf ihn zu.
»Bitte, Josh …«
»Bleib, wo du bist! Ich kann dir nicht trauen. Du bist nicht mehr auf meiner Seite, sondern auf der des Bullen. Ich sehe doch, wie du ihn ansiehst. Verbringst jede freie Minute mit ihm!«
Verdattert hielt Zoe inne. Langsam kroch Angst in ihr hoch. Er hatte sie nicht nur heimlich fotografiert, sondern auch die ganze Zeit beobachtet. Das hatte eindeutig krankhafte Züge. Sie hatte ihn unterschätzt.
Wieder suchte Joshs Blick nervös die Umgebung ab. Zoe ahnte, dass er nach Leon Ausschau hielt. Ein Stich durchfuhr sie bei dem Gedanken, wie Joshs Falle ihn niedergestreckt hatte. Hoffentlich war er wieder bei Bewusstsein! Darüber nachzudenken, dass der Schlag Schlimmeres angerichtet haben könnte, wagte sie nicht. Sie musste einen Weg finden, um Joshs Vertrauen wiederzuerlangen, damit er die Waffe ablegte. Er hatte ihr heimlich nachgestellt und seinen toten Vater zu Hause versteckt. Aber machte ihn das gleich zum Mörder?
»Wir wollten dir nur helfen, Josh, und haben dabei deinen Vater gefunden!«, beschwor sie ihn eindringlich. Nur mühevoll konnte sie das Zittern in ihrer Stimme unterdrücken.
Josh blinzelte irritiert. Er stockte. Dann breitete sich maßloses Erstaunen in seinem Gesicht aus.
»Ich soll nicht nur den Bastard und seine bescheuerten Kumpel umgebracht haben, sondern auch meinen Vater? Das glaubst du doch nicht wirklich?!« Er ließ den Gewehrlauf sinken, schüttelte immer wieder fassungslos den Kopf. »Du bescheuerte Kuh, du …«
Seine Beschimpfung traf Zoe. Er schien nun völlig außer sich zu geraten, wusste wahrscheinlich nicht mehr, was er sagte. Übermannt von Schuldgefühlen, streckte sie ihm die Hand entgegen, als Geste der Versöhnung. Bei allem, was geschehen war, konnte sie ihre freundschaftlichen Gefühle nicht einfach ausblenden.
»Nein, natürlich glaube ich das nicht. Davon hat doch überhaupt niemand gesprochen.«
»Nicht?!«, fuhr Josh sie an. »Dann hättest du mal hören müssen, was die in der Schule von sich gegeben haben!« Er schnaubte abwertend.
»Aber das ist doch belangloses Gerede, hast du selbst immer gesagt«, versuchte Zoe einzulenken. »Die Polizei wird das schon alles aufklären.«
Sie hatte ihn vor den Kopf gestoßen, nicht nur mit ihren Worten, sondern auch durch die Tatsache, dass sie mit Leon aufgetaucht war. Für ihn musste es so aussehen, als ob Zoe ihn die ganze Zeit für schuldig gehalten hatte. Das machte ihn unberechenbar. Er wirkte auf gefährliche Weise wie jemand, der jeden Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren drohte. Die Fotos von ihr, sein toter Vater im Lehnstuhl, das Vorspielen eines völlig normalen Lebens. Dazu kam der Mordverdacht, eine schwere Anschuldigung. Kannte Zoe ihren Freund wirklich? Irgendwie musste es ihr gelingen, ihn zum Aufgeben zu bewegen.
Immer noch kopfschüttelnd wischte Josh sich mit dem Ärmel über das Gesicht.
Hinter ihm nahm Zoe eine Bewegung wahr. Leon tauchte aus dem Gestrüpp auf und legte einen Finger an seine Lippen. Sie verstand die Geste und bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. Fest heftete sie ihren Blick auf Josh. Aufgebracht, wie er war, würde er vermutlich sofort schießen, sobald er Leon hinter sich bemerkte. Vor lauter Panik fiel Zoe das Atmen schwer. Es gelang ihr nur mühsam, mit fester Stimme zu sprechen.
»Josh, leg das Gewehr hin! Du brauchst Hilfe. Bitte, du bist mein bester Freund! Ich werde versuchen, dir zu helfen.«
Etwas veränderte sich in Joshs Miene, sie wurde weich. Bestürzt erkannte Zoe genau den Ausdruck, den Josh annahm, wenn er sie bei ihren gemeinsamen Unternehmungen manchmal angeschaut hatte. Leon näherte sich lautlos, und Zoe fühlte sich wie eine Verräterin. Aber dieses Mal konnte sie ihren Freund nicht beschützen.
Josh nahm das Knacken im Gehölz im selben Moment wahr, als Leon ihn schon von hinten an den Schultern packte. Sofort duckte er sich unter dem Griff hinweg, legte das Gewehr an und wollte herumfahren. Doch Leon stoppte den
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