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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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befand sich auch Josh auf den Bildern. Zoe erkannte ein paar wieder, die Josh an ihren gemeinsamen Nachmittagen am See gemacht hatte. Harmlose Aufnahmen mit dem Fotohandy. Aus Spaß hatten sie ihre Münder zu übertriebenen Schmolllippen verzogen und die Köpfe aneinandergelehnt, wie die Duck-Faces der Girlies auf den Internet Communities. In Zoes Ohren rauschte es, als sie sich um die eigene Achse drehte, um das Chaos zu überblicken. Einige Fotos zeigten sie in Unterwäsche, ein paar völlig nackt in ihrem Badezimmer zu Hause. Hitze schoss ihr in die Wangen. Ihre Hände zuckten unter dem Drang, die Fotos sofort von den Wänden zu reißen. Doch ihre Beine waren wie gelähmt und hinderten sie daran.
    Wie hatte Josh das angestellt? Er musste auf einen Baum geklettert sein, um sie durch ihr Zimmerfenster zu fotografieren. Doch manche Blickwinkel deuteten darauf hin, dass er sie von der Tür aus fotografiert haben musste. Vor Aufregung schlug ihr das Herz bis zum Hals. Er musste ihr hinterhergeschlichen sein, wenn sie ihn darum gebeten hatte, unten auf sie zu warten. Ein unterschwelliges Grauen tauchte sie in ein Wechselbad aus Scham und Wut. Sie stieß ein Keuchen aus und schlug sich mit der Hand vor den Mund, um einen Aufschrei zu unterdrücken. Sie wagte kaum, Leon anzusehen. Er stand vor einem Tapeziertisch, auf dem zwei mit Flüssigkeit gefüllte Plastikbehälter plaziert waren.
    Konzentriert untersuchte er die Behälter und benahm sich dabei völlig normal. Was für Zoe einer mittleren Katastrophe gleichkam, bedeutete für ihn Ermittlungsarbeit. Erleichterung machte sich in ihr breit. Er war professionell genug, in dieser Situation möglichst sachlich zu bleiben. Sie war überzeugt, seine Diskretion würde auch weiterhin anhalten. Zumindest hoffte sie das. Dennoch änderte das nichts an der Tatsache, dass er ihren Körper aus nahezu jedem erdenklichen Winkel auf diesen widerwärtigen Fotografien gesehen hatte. Und es würde noch schlimmer kommen, wenn die Polizei hier eintraf, um ihre Ermittlungen aufzunehmen. Mein Gott! Zoe wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sich der Boden unter ihren Füßen auftun würde.
    Leon zog ein nicht fertig entwickeltes Foto aus einer Wanne. Eine farblich bearbeitete Porträtaufnahme von Zoes Gesicht sollte wohl ein Andy-Warhol-Kunstwerk imitieren. Zoe verdrehte mit einem Aufstöhnen die Augen.
    »Was für ein kleines krankes Arschloch!«, urteilte Leon.
    Seine Worte formten ein Bild in Zoes Kopf. Plötzlich war die kleine Kammer kein gewöhnlicher Raum mehr, sondern die Stätte eines Fans mit ihr selbst als Ikone. Diese Erkenntnis wandelte Zoes Schrecken in Angst.
    Sie zuckten gleichzeitig zusammen, als direkt über ihren Köpfen ein Rumpeln aus dem oberen Stockwerk ertönte, gefolgt von gedämpften Schritten. Leon schoss an Zoe vorbei zum vorderen Teil des Hauses. Zoes Gedanken rotierten. Irgendjemand war dort oben. Es war mit Sicherheit Josh, der aus gutem Grund nicht reagiert hatte, als Zoe an der Haustür geklopft hatte.
    Leon war neben ihr im Türrahmen in Deckung gegangen und richtete die gezogene Waffe in den schmalen Flur, der zur Treppe führte. Seiner Geste folgend, hockte Zoe sich hinter ihn.
    »Polizei! Kommen Sie mit erhobenen Händen herunter!«
    Nichts rührte sich.
    »Bleib hier, bis ich zurückkomme!«, flüsterte Leon ihr zu.
    »Auf keinen Fall!«, gab Zoe mit fester Stimme zurück.
    Sein Blick ging ihr direkt unter die Haut, ließ sie einen Moment in ihrer Entscheidung schwanken.
    »Okay, dann halte dich hinter mich!«
    In gebeugter Haltung liefen sie den Gang entlang. Kurz vor dem Treppenabsatz stolperte Leon, fing sich aber noch rechtzeitig, bevor er vornüber fallen konnte. Leise fluchend suchte er den Boden nach dem vermeintlichen Hindernis ab.
    Zoe war abrupt stehen geblieben. Ein dünnes Drahtseil vibrierte etwa in Knöchelhöhe über dem Boden. Bei dem schummrigen Licht war gerade einmal zu erkennen, dass das Seil bis zur Wand reichte, dort hinauflief und sich in von Spinnweben verhangenen Dachbalken verlor. Dafür war das mechanische Rollen und Knarzen, das nun einsetzte, umso präsenter. Es klang, als würde auf dem Dachboden jemand Bowling spielen. Zoe spitzte die Ohren und blinzelte in die Höhe, um herauszufinden, woher die Geräusche kamen. Vermutlich war jemand oben gegen einen Gegenstand gelaufen und hatte ihn umgeworfen. Mit ächzendem Gebälk hatte das nicht mehr viel zu tun. Sie tastete nach Leons Ärmel, weil ihr die Ungewissheit plötzlich

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