Die Totenmaske
ebenso neugierig zu sein. Für den Mann am Fenster war es ein Motorradfahrer gewesen, der sich bei einem Rennen überschätzt hatte. Demnach hatte er es nicht auf sie abgesehen. Jetzt musste sie nur noch selbst daran glauben. Sie zog sich aus der Menge zurück und wollte sich auf den Weg zu ihrem Auto machen, als sie Schritte hinter sich hörte.
»Da macht sie sich einfach klammheimlich davon!« Leon erschien neben ihr.
»Na ja, du hast auch ohne mich alles im Griff.« Sie blieb stehen. »Glaubst du, dieser Motorradfahrer könnte einer von den beiden sein, die mein Fenster eingeschmissen haben?«
Er zögerte einen Moment. »Wir haben die Personalien des Fahrzeughalters bereits ermittelt und prüfen nun, ob er in irgendeiner Form auffällig geworden ist.«
Mit anderen Worten: Er wusste es nicht genau, würde es aber sicher bald herausfinden. Toll! Also keine Lausbubenstreiche mehr wie jene, mit denen die Dorfjungen sie in der Vergangenheit gern aufgezogen hatten. Insgeheim hatte sie sich die ganze Zeit einzureden versucht, dass es sich auch dieses Mal wieder nur um einen Zufall oder dummen Streich handelte. Natürlich war sie nicht wegen Leon frustriert, auch wenn er ihre Stimmung unmittelbar zu spüren bekam. Er konnte am wenigsten dafür. Allmählich brannte sich die Gewissheit über den Ernst der Lage ein. Das machte Zoe zu schaffen.
»Soll ich dich nach Hause bringen?«
Zoe schüttelte den Kopf. »Mein Wagen steht da hinten. Außerdem habe ich noch einen Termin.« Sie versuchte ein Lächeln, das Leon zaghaft erwiderte. »Tote warten nicht, wie du weißt.«
Gleichzeitig wendeten sie sich in die entgegengesetzten Richtungen, als Zoe innehielt. »Da wäre noch etwas.«
»Ja?«
»Könntest du dafür sorgen, dass ich Josh im Gefängnis besuchen darf?«
Leon nickte leicht, seine Miene wirkte nachdenklich. »Ich denke, ich kann es einrichten.«
*
Leon bestellte sein drittes Bier. Durch die braungetönten Butzenscheiben der Bar fiel träges Nachmittagslicht herein. Im Hintergrund plärrten Schlager aus einer nostalgischen Musikbox. Es waren nur wenige, aber dafür umso trinkfreudigere Gäste anwesend. Ausreichend, um die Luft mit dicken Rauchschwaden zu schwängern. Darunter die beiden Männer ihm gegenüber, deren Murmeln von der Musik verschluckt wurde. Er hätte sich ein paar Hocker näher heransetzen sollen, um sie zu observieren. Allerdings hätte das ein wenig seltsam ausgesehen. Das Lokal war so gut wie leer. Da setzte sich ein frustrierter Typ, der sich mit ein paar Bieren trösten wollte, nicht neben die beiden einzigen Gäste an die Theke. Jetzt musste er sich anstrengen, um ein paar Wortfetzen aufzufangen. Aber das würde schon gehen. Bisher waren die Gesprächsthemen der beiden jedoch so uninteressant wie dieser Besuch in der Eckkneipe. Die Hinweise aus der Bevölkerung über die beiden fremden Saisonarbeiter hatten ihn hierhergeführt. Einer der beiden war höchstwahrscheinlich ein gewisser Sascha Slona, wie es die Überprüfung des Nummernschildes ergeben hatte, sofern es sich um den Halter des Motorrades handelte, mit dem Zoe beinahe angefahren worden wäre. Ganz abgesehen von dem Haken, den Leon ihm zu verdanken hatte. Abwesend rieb er sich über das Kinn, obwohl es längst nicht mehr schmerzte. Vielleicht stellte das sogar die erste konkrete Spur zu den unbekannten Steinewerfern dar.
Der Termin zum Verhandlungsauftakt rückte näher. Der dreifache Mord würde in einem großangelegten Prozess verhandelt werden und letztlich zu einem gerechten Urteil führen. Leon konnte bei seinen Befragungen deutlich erkennen, dass sich zwei Fronten bildeten: auf der einen Seite Sympathisanten für den Angeklagten, auf der anderen solche, die am liebsten mit brennenden Mistgabeln losgezogen wären. Deutlich war diese moralische Disharmonie auf dem Marktplatz geworden.
Ein leises Rattern der Musikbox kündigte angenehme Stille an. Erleichtert nahm Leon zur Kenntnis, dass dem letzten Song kein weiterer folgte. Die beiden Typen unterhielten sich lallend über Fußball. Dazu brauchte Leon nur seine halbe Aufmerksamkeit, was unweigerlich zur Folge hatte, dass seine Gedanken zu Zoe abschweiften. Er knickte die Ecken seines Bierdeckels um und beobachtete den Wirt, wie er Gläser polierte. Leider genügte das nicht, um sich abzulenken. Er seufzte.
»Noch eins?«, fragte der Wirt und deutete auf Leons Glas.
»Klar, warum nicht?«
Seit ihrem gescheiterten Treffen auf dem Marktplatz hatte er nur einmal mit Zoe
Weitere Kostenlose Bücher