Die Totenmaske
Hörweite zur Fensterfront zurück. Mehr Privatsphäre war nicht drin. Hinter der Panzerglasscheibe erschienen zwei weitere Beamte mit Josh in der Mitte. Zoe verschränkte ihre Finger ineinander und beobachtete, wie der Gefangene durch mehrere Stahltüren geschleust wurde, bis sie in den Besucherraum traten. Josh blickte sie unsicher an und kaute dabei auf seiner Unterlippe. Er sah blass aus. Eine Welle von Mitleid überkam Zoe. Für einen Moment war alles vergessen. Fast wäre sie aufgesprungen, um ihn zu umarmen. Doch die Besucherverordnung war streng: kein Körperkontakt, keine ruckartigen Bewegungen. Sie wartete, bis Josh sich auf den gegenüberliegenden Stuhl gesetzt hatte. Wenigstens hatten sie ihm die Handschellen abgenommen.
»Alles Gute zum Geburtstag, Josh.«
Mit der Fingerspitze berührte Zoe sachte seine Hand, nachdem sie sich einen zustimmenden Blick vom Aufsichtsbeamten geholt hatte. Es war eine zaghafte Berührung wie die Ankündigung eines Neubeginns, nachdem der Sturm abgeebbt war. Ihre Freundschaft war tief erschüttert worden. Nun waren die Karten neu gemischt, und der Stapel lag verdeckt da. Sie mussten sie nur ergreifen, und das Spiel würde beginnen, nach anderen Regeln. Leon war ein Teil davon geworden. Sie sah hastig zu ihm, woraufhin er sein Gespräch unterbrach und ihr zunickte. Ebenso gut könnte sie passen, wenn ihr der Einsatz zu hoch erschien. Der Splitter der Enttäuschung steckte in ihrem Herzen, doch sie konnte Josh nicht einfach aufgeben. Außer ihr hatte er niemanden.
»Meinen achtzehnten Geburtstag hab ich mir irgendwie cooler vorgestellt.« Ein Hauch von Bitterkeit lag in seiner Stimme.
Es kostete ihn sichtlich Mühe, sie anzusehen. Ständig wich er ihrem Blick aus, inspizierte den Raum, beobachtete Leon. Zoe konnte sehen, wie er mit seinem Schamgefühl kämpfte.
»Du siehst gut aus«, sagte Zoe, um die Stimmung aufzulockern.
Josh verzog die Lippen. »Hat wohl mit der Psychogruppe zu tun, an der ich hier teilnehme. Die bringen einem bei, die Dinge ein wenig klarer zu sehen, darüber reden zu können.«
»Das ist in Ordnung, wenn es dir hilft.«
Zoe fühlte sich seltsam befangen. Eigenartig, wenn man jemanden vor sich hatte, den man zu kennen glaubte und der einem plötzlich fremd erschien.
»Ich hab ja genug Zeit …« Er stockte. Die glatte Fläche der Tischplatte schien ihm der geeignete Orientierungspunkt, um nach den richtigen Worten zu suchen.
»Die sagen, ich sei so was wie ein Stalker, weil ich auf dich fixiert sei.« Seine Mundwinkel zuckten leicht, bevor er den Kopf senkte. »Weil du eine für mich unerreichbare Person bist. Na ja, eine Chance hatte ich eh nie.« Unter der Haarsträhne, die ihm in die Stirn gefallen war, warf er einen überaus frostigen Blick zu Leon hinüber.
Zoe schluckte. Ihr Magen verkrampfte sich. Sie war wohl doch noch nicht ganz so weit. Ständig tauchte die Fotowand in Joshs Haus vor ihrem inneren Auge auf. Sie gab sich aber Mühe, Josh möglichst objektiv zuzuhören. Sie wäre nicht hergekommen, wenn sie vorgehabt hätte, mit Josh zu brechen. Aussitzen stellte die Strategie dar, die sie beide für gewöhnlich befolgten, wenn sie sich gestritten hatten. Nach ein paar Tagen Funkstille war meist alles wieder vergessen. Jetzt waren immerhin Wochen vergangen.
»Hör zu, deswegen bist du nicht hier. Wir müssen uns um diesen Prozess kümmern. Du stehst unter Mordverdacht.« Zoe räusperte sich, weil die Worte in ihren Ohren so unglaublich klangen. Die Vorstellung, Josh könnte Boris und seine Freunde getötet haben, wirkte irreal. »Das … das andere versuchen wir später zu besprechen, okay?«
Er wusste um ihre Gefühle für Leon. Zoe konnte seinen Schmerz förmlich spüren. Wenigstens reagierte er nicht aggressiv.
»Du meinst, wir können trotzdem Freunde bleiben?« Josh lehnte sich nach hinten und atmete deutlich vernehmbar aus.
»Die Dinge geschehen, weil sie geschehen. Man kann nicht immer etwas dagegen unternehmen. Aber wir können bleiben, was wir immer waren.«
Genau genommen war das sogar mehr als großzügig, aber das behielt Zoe vorerst für sich. Irgendwann würde sie die Kraft aufbringen, um ihm einen schwesterlichen Vortrag zu halten, der sich gewaschen hatte. Seine ersten Gehversuche in Sachen Selbsteinsicht wollte sie nicht gleich beim ersten Treffen beeinträchtigen. Sie beugte sich vor, um ihm in die Augen zu sehen.
Josh lugte mit gerunzelter Stirn unter seinen Haaren hervor. Ein leichtes Nicken schien darauf
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