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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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ich mit Kunst nicht viel am Hut habe.«
    Er verdrehte die Augen. Zoes Herz schlug Purzelbäume. Er wandte sich zu einer der Grabnischen und klopfte scheinbar prüfend gegen die Plexiglasscheibe.
    »Wir können morgen Josh in der Jugendvollzugsanstalt besuchen«, sagte er beiläufig.
    Außerdem war auf Handys in dieser ländlichen Gegend kein Verlass, vollendete Zoe den Satz in Gedanken. Täuschte sie sich, oder schwang da ein Hauch von schlechtem Gewissen in seiner Stimme mit?
    »Falls du das noch möchtest. Ich meine … tut mir leid, wenn ich damit so kurzfristig ankomme. Es wäre verständlich, wenn du es dir anders überlegt hättest.«
    »Habe ich nicht«, erwiderte sie eine Spur zu hastig. »Und morgen passt mir gut.«
    Ein bisschen hörte es sich für Zoe wie eine Einladung zu einem Date an. Wenn da nicht dieser düstere Schleier über Leons Miene gezogen wäre. Er sorgte sich um sie. Gerührt senkte sie den Blick. Um die Unruhe in ihren Beinen zu bekämpfen, ging sie auf die angrenzende Wiese zu, hinter der sich der jahrhundertealte Weg zum Ausgang schlängelte. Als Kind hatte sie sich hier immer gefühlt wie Alice im Wunderland.
    »Wie geht es Josh?«, fragte sie.
    »Den Umständen entsprechend gut. Wir haben nichts aus ihm herausbekommen. Dass ihm seine Äußerungen über Boris als Morddrohungen ausgelegt werden könnten, schien ihn jedoch zu beunruhigen. Der Staatsanwalt hat Klage eingereicht. Josh wird beschuldigt, Boris und seine Freunde ermordet zu haben. Er hat jetzt einen ziemlich guten Anwalt, der sich auf die Arbeit mit Jugendlichen spezialisiert hat.«
    Leon wollte ihr damit wohl mitteilen, dass Josh sich in guten Händen befand. Sie nickte bedrückt.
    Gemeinsam spazierten sie über den Friedhof. Nicht die romantischste aller Kulissen, doch Zoe hätte ohne weiteres stundenlang neben ihm herlaufen können. Vor ihnen tauchte die Sonne den Horizont in purpurnes Licht. Eine milde Brise blies über sie hinweg, brachte den Duft von Honig mit sich. Während Leon sie zu ihrem Wagen begleitete, unterhielten sie sich über ihre Arbeit. Er zeigte sich fasziniert von den Totenmasken. Davon hatte er allenfalls gelesen und nicht gedacht, dass es noch Menschen gab, die sie herstellten. Der künstlerische Teil ihres Jobs schien ihm deutlich besser zu gefallen als ihre, zugegeben, zum Teil äußerst ausführlichen Beschreibungen der hygienischen Totenversorgung. Sie nahm sich vor, sich diesbezüglich in Zukunft ein wenig zurückzunehmen.
    Als Zoe in ihrem Auto saß und Leon die Tür hinter ihr geschlossen hatte, fühlte sie sich ganz benommen. Beinahe so, als hätte sie einen ausgelassenen Sommertag im Kornfeld verbracht. Sogar das Motorengeräusch klang für eine Weile wie Musik. Er erwiderte ihr Winken mit einem Lächeln. Sie fragte sich, wie weit entfernt sein Wagen stehen mochte.

Kapitel 17
    D ie schwere Stahltür fiel krachend ins Schloss. Zoe zuckte zusammen und wartete dicht neben Leon, bis der Gefängniswärter den unübersichtlichen Schlüsselbund an seinen Gürtel gekettet hatte. Sofort fühlte die Atmosphäre sich noch beklemmender an, als es draußen die windenden Stacheldrähte auf den Mauern der Jugendvollzugsanstalt ohnehin schon vermittelten. Überall vergitterte Fenster, durch die gebrochenes Tageslicht hereinfiel. Mit einer gehörigen Portion Phantasie hätte man sich vorstellen können, sich auf dem Flur eines Krankenhauses zu befinden – einem aus dem beginnenden zwanzigsten Jahrhundert vielleicht. In der zweiten Etage des dreistöckigen Betonbaus, nach dessen Vorbild anscheinend auch einige Schulen entstanden sind, herrschte ein eintöniges Grau in Grau, welches sich über den langen Gang vor ihnen erstreckte. Dazwischen verhöhnten grüngestrichene Türrahmen den Versuch, farbliche Akzente zu setzen. Eine enge Zelle reihte sich an die nächste, mit brüchigen Fliesenböden und Neonröhrenbeleuchtung. Willkommen in der Hölle, verkündete ein verwischter Schriftzug an einer Zellenwand.
    Zoe verschränkte die Arme. Sie hätte besser ihre Jacke mitnehmen sollen. Leons Hand legte sich auf ihren Rücken und schob sie sachte weiter. Die Vorstellung, in dieser Umgebung Jahre seines Lebens verbringen zu müssen, war bedrückend.
    Im Aufenthaltsraum standen Gestecke aus Seidenblumen auf den Kantinentischen wie die Ausbeute von einem Kirmesstand.
    »Aus einer unserer Werkstätten«, erklärte der Beamte.
    Zoe nickte und nahm an dem zugewiesenen Tisch Platz. Leon zog sich mit seinem Kollegen in

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