Die Totenmaske
schicken«, entgegnete sie in der Annahme, das Gespräch wäre damit beendet. Statt der üblichen Abschiedsfloskel vernahm sie jedoch deutliche Kau- und Schmatzgeräusche. Das Bild des abgeklärten Pathologen im Labor, der sich neben einem geöffneten Leichnam auf dem Seziertisch genüsslich seinem Butterbrot widmete, war nicht einmal abwegig. Manche Klischees bestätigten sich von selbst. Zoe wartete geduldig, bis ihr Gesprächspartner seinen Bissen hinuntergeschluckt hatte, da es anscheinend noch etwas zu sagen gab.
»Haben Sie auch Platz für drei, Frau Lenz?«
Zoe stutzte. Erst passierte wochenlang nichts, und nun sollten ihr gleich drei Leichen beschert werden? Das war selbst vor dem Hintergrund, dass Zoe als Thanatologin eine Monopolstellung unter den Bestattern in der Umgebung einnahm, ungewöhnlich. Sie erinnerte sich an einen Fall vor Jahren, bei dem ihr Großvater zwei Tote parallel behandelt hatte. Er wollte sie nicht trennen, zumal das Ehepaar zusammen Selbstmord begangen hatte. Für solche Fälle gab es einen zusätzlichen ausklappbaren Seziertisch im Lager. Aber drei Leichen? Gleichzeitig konnte Zoe sie auf keinen Fall herrichten. Hatte sie allerdings auch nicht vor.
»Ich habe ein geräumiges Kühlhaus. Wird schon klappen«, erwiderte sie.
Wenig später hatten die Leute vom Krankentransport die Leichensäcke über den Lastenaufzug hinter dem Haus hinunter in den Behandlungsraum gehievt.
In der Einfahrt sichtete Zoe die Transportscheine, um den Empfang zu bestätigen.
»Was ist passiert?«, fragte sie beiläufig, als ihr Blick auf die Namen der Leichen fiel. Der Schreck fuhr ihr durch die Glieder. Das Rauschen des Windes in den Baumkronen schien wie ein Wirbelsturm durch sie hindurchzujagen. Aus der Ferne hörte sie die Antwort des Mannes.
»Autounfall am Steilhang. Sind ziemlich übel zugerichtet, die drei Burschen.«
Zoe schwankte. Das konnte doch nicht wahr sein! Die Buchstaben auf dem Papier schienen ihr entgegenzuspringen. Boris Nauen, männlich, zweiundzwanzig Jahre alt. Die anderen Namen las sie nur flüchtig, weil ihr schon vorher klar war, dass es sich um seine beiden Kumpel handelte. Sie schluckte.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte der Mann sich besorgt. »Sie sind ganz blass geworden. Kannten Sie die Opfer?«
Mit Mühe fasste Zoe sich, übereichte ihm die Durchschläge und faltete die Originalpapiere zusammen, als könnte sie damit das Geschehene ungeschehen machen.
Sie nickte. »Wir wohnen in einer kleinen Gemeinde. Irgendwie kennt hier jeder jeden.« Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und begab sich in den Behandlungsraum hinunter.
Da stand Zoe nun vor ihren drei Problemen und starrte fassungslos auf die Rolltragen inmitten des klinisch sauberen Raumes. Das Zeugnis über die Identität der Toten zerknittert in ihrer verschwitzten Hand. Ihre Gedanken zogen wilde Kreise in ihrem Kopf. Nichts hatte sie sich sehnlicher gewünscht, als dass Boris sich in Luft auflöste. Doch hatte sie damit weiß Gott nicht gemeint, dass er sterben sollte!
Ein hysterisches Kichern wallte in ihr auf und wollte sich an die Oberfläche kämpfen. O nein, Loretta konnte sie jetzt wirklich nicht gebrauchen! Sie unterdrückte jede Gefühlsregung und besann sich auf ihre Professionalität. Persönliche Empfindungen waren fehl am Platz, Schuldgefühle ebenso. Sie hatte einen Job zu erledigen, der ihr einiges abverlangen würde. Einen Moment überlegte sie, ob es notwendig war, sich Unterstützung zu holen, entschied sich aber dagegen. Je nach Zustand der Leichen würde sie eine nach der anderen behandeln müssen.
Langsam zog Zoe ihren Kittel an und streifte sich die Latexhandschuhe über. Dabei ließ sie ihren Blick über die aufgebahrten Leichensäcke schweifen. Noch nie war ihr bei der Vorstellung, einen Leichensack zu öffnen, so bange zumute gewesen. Für gewöhnlich fand sie es spannend, weil sie vorher nie genau wusste, welche Herausforderung sie erwarten würde, je nach Zustand des Leichnams. Ihr war danach, einen Mundschutz zu tragen, ganz gleich, ob notwendig oder nicht. Dadurch bewahrte sie sich ein Stück Immunität und konnte ihre aufgebrachten Gefühle besser unter Kontrolle halten. Sie presste die Lippen zusammen und ging gefasst auf den Behandlungstisch zu. Die Krankentransporteure hatten vorsorglich einen der Leichensäcke direkt dort abgelegt, um Zoe die Arbeit zu erleichtern. Das Surren des Plastikreißverschlusses klang ungewöhnlich laut in ihren Ohren.
»Es reicht!«, rief Zoe
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