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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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Müdigkeit sie übermannte.

Kapitel 4
    D rei Wochen später konnte Zoe immerhin von sich behaupten, ausschließlich sie selbst zu sein. Sie erinnerte sich kaum, wie sie nach ihrem letzten Ausflug ins Pydna nach Hause gekommen war. Erst nach und nach waren die Bilder zurückgekehrt, ihr Zusammentreffen mit Boris. Nicht zum ersten Mal hatte sie sich derart in die Figur Loretta hineingesteigert, dass sie selbst glaubte, eine zweite Persönlichkeit hätte Besitz von ihr ergriffen und wer weiß was angestellt. Glücklicherweise war Zoe nicht irgendwo im Wald aufgewacht oder orientierungslos durch die Gassen gestrichen. Ihr zweites Ich war wie eine Droge, schwer dosierbar mit unbekannten Nebenwirkungen.
    Irgendwann war es ihr gelungen, kaum einen Gedanken an Boris und erst recht keinen an Loretta zu verschwenden. Zweifelsohne ähnelte dieser mühsame Versuch, sich vor der Selbstzerfleischung zu bewahren, einem kalten Entzug. Warum Menschen überhaupt dazu neigten, sich Dinge anzutun, die ihnen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nichts weiter als Schaden zufügten, schien zu den ungelösten Geheimnissen der zivilisierten Welt zu gehören. Zumindest in den ersten Tagen nach ihrem Zusammentreffen mit Boris konnte Zoe sich allenfalls durch rastloses Umherwandern davon abhalten, in tiefste Grübeleien zu versinken. Sie hatte sich ständig matt gefühlt, wie nach einer durchzechten Nacht. Ihr Bewusstsein schien wie durch einen grauen Schleier nur das Notwendigste aus ihrer Umgebung zu filtern. Nachdem sie unter den verwunderten Blicken ihrer Mutter alles im Haus aufgeräumt hatte, was ihr zwischen die Finger gekommen war, sich zwischendurch im Verkaufsbereich mehr oder weniger nützlich gemacht und schließlich das Garagentor gestrichen hatte, legte die innere Unruhe sich allmählich.
    Die kampflustige Loretta hätte nichts lieber getan, als auf der Stelle erneut loszuziehen, um Boris entgegenzutreten, ihn zu zermalmen wie ein lästiges Insekt. Doch Zoe hatte Loretta zur Funkstille gezwungen. Zumindest für eine unbestimmte Zeit – so lange, bis es ihr gelänge, sich wieder an die poröse Oberfläche zu kratzen. Die homöopathischen Beruhigungsmittel erfüllten durchaus ihren Zweck, besänftigten Zoes aufgebrachtes Gemüt und hielten Loretta im Zaum. Doch wie das Leben so spielte, suchten aufgestaute Emotionen nach einem Ventil. Es war nur eine Frage der Zeit.
    Nun gut, das Haus auf Hochglanz zu bringen konnte nicht schaden. Mittlerweile plätscherte der Alltag behäbig dahin. Es gab keine Verstorbenen zu versorgen. Sie hatte Zeit genug, um sich eingehend ihren Masken zu widmen. Sogar eine Auftragsarbeit hatte sie erhalten. Die Familie eines angesehenen Geschäftsmannes hatte beschlossen, ihrem Firmengründer ein besonderes Denkmal zu setzen. Dieses bronzene glänzende Meisterwerk hob Zoe gerade auf Augenhöhe und polierte den exakt rekonstruierten Backenbart. Das aus dem Schrägfenster einfallende Sonnenlicht überzog die ausgeprägten Wangenknochen mit einem erhabenen Schimmer. Ein bisschen Feinschliff unter den Wimpern der geschlossenen Lider, einen Hauch mehr Tiefe an den Lachfältchen im Augenwinkel. Gekonnt brachte Zoe die elektrische Feile zum Einsatz, bevor sie mit einem Pinsel den Bronzestaub entfernte. Bestimmt hatte der alte Herr zu Lebzeiten oft gutmütig geschmunzelt. Oder er war ein ausgesprochener Griesgram gewesen, den allein der Augenblick des Todes in Verzücken versetzt hatte. Genau konnten das ohnehin nur die Menschen wissen, die ihn gekannt hatten. Nicht ohne Stolz betrachtete Zoe die Totenmaske. Ein durch und durch gelungenes Exemplar.
    Das Schrillen des Telefons riss sie aus ihren Gedanken. Sie fuhr zusammen und nahm sich zum wiederholten Mal vor, den nervenden Klingelton zu ändern. Vorsichtig legte sie die Bronzemaske auf ein Tuch und griff nach dem Hörer. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Mitarbeiter der Pathologie des Kreiskrankenhauses und erkundigte sich in monotonem, sachlichem Tonfall, ob Zoe für eine Lieferung bereitstünde. Der Anruf war reine Formsache, um vorab zu klären, ob der jeweilige Bestatter erreichbar war. Notfalls wichen die Pathologen auf ein anderes Institut in der Umgebung aus, falls Zoe nicht erreichbar oder im Urlaub wäre. Lachhaft! Urlaub hatte sie schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gemacht. Letztlich ging es darum, zu vermeiden, mit einer frisch autopsierten Leiche vor verschlossener Tür zu stehen.
    »Ich bin im Haus. Sie können Ihren Wagen

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