Die Totenmaske
hinüber, der ausnahmsweise nicht mit Blumen dekoriert war.
Während Zoe die Eingangspapiere sichtete und unterschrieb, wuchteten nebenan Lieferanten die Särge auf die vorbereiteten Rollwagen. Für gewöhnlich stand davon nur einer im Trauersaal. Die anderen beiden hatte sie am Vortag aus der Garage holen müssen. Drei Leichen gleichzeitig für einen Abschied am offenen Sarg aufzubahren, stellte definitiv eine Herausforderung dar. Normalerweise erfolgte diese Form des Abschieds ohne behördliche Genehmigung innerhalb von drei Tagen nach Todeseintritt. Bei den drei toten Jungen hingegen wurden anscheinend alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit fast eine Woche nach dem pathologisch ermittelten Todeszeitpunkt eine angemessene Trauerfeier stattfinden konnte. Zoes Mutter hatte wieder ganze Arbeit geleistet und sich um die notwendigen Schritte für die Familien gekümmert. Das hatte sie ebenso gut drauf, wie sie ihre Geschäftstüchtigkeit beim Verkauf von Särgen bewies.
Allerdings hatte sie sich beleidigt in ihre Kapelle zurückgezogen, weil sie es Zoe übelnahm, dass diese sie vorgeführt hatte. Zumindest schien sie es so aufzufassen, nachdem sie Zoe und Josh in der Halle gesehen hatte, ohne zu wissen, worüber sie sprachen. Vom Gegenteil ließ Isobel sich ohnehin nicht überzeugen. Ihr ging es schon gegen den Strich, wenn ihre Versuche, Zoe dazu zu verleiten, schlecht über Josh zu reden, scheiterten. Wenn Isobel jemanden nicht leiden konnte, dann war das eben so. In den nächsten Tagen würde sie nur zum Essen und Schlafen ins Haus kommen. Sie hatte noch immer nicht begriffen, dass ihre Liebesentzugssanktionen nicht mehr bei Zoe zogen.
Dennoch war Zoe überrascht gewesen, als ihre Mutter so zurückhaltend reagierte, nachdem sie ihr mitgeteilt hatte, welche Leichen im Keller lagen. Isobel war in der Vergangenheit ausnahmslos ungehalten gewesen, wenn die Rede von Boris Nauen oder seinen Freunden war. Für sie verkörperte er den Schänder ihrer Tochter, das unangefochtene Feindbild, dem seine gerechte Strafe noch bevorstand. Jetzt war er tot. Und Isobel war ebenso Profi wie Zoe. Eine Leiche bedeutete Geschäft, nicht mehr und nicht weniger. Erfahrungsgemäß würde ihre Mutter sich wieder einkriegen. Es war nur eine Frage der Zeit oder, besser gesagt, tagesformabhängig.
Zoe pfiff leise zwischen den Zähnen, als sie den Preis des Sarges von Familie Nauen im Papierwust entdeckte. Sie kannte die Einkaufspreise und somit auch den Gewinn, den die drei Särge für ihr Unternehmen abwerfen würden. Viel Überredungskunst war dafür sicher nicht nötig gewesen. Boris’ Familie würde sich auch nach seinem Tod nicht nehmen lassen, jedem Gemeindemitglied deutlich ihren gesellschaftlichen Stand zu präsentieren. Sie blickte hinüber zum Kopfteil des Saales, der wie die Miniatur eines Kirchenschiffs wirkte. Überladene Blumengestecke mit Rosen und Lilien zierten den bühnenartigen Holzausbau. Manche Trauerfeiern waren einem Laienschauspiel nicht unähnlich, und Zoe rechnete damit, dass es die bevorstehende Abschiedsfeier im großen Rahmen sogar mit einem Drama aufnehmen konnte. Das unzertrennliche Trio bis über den Tod hinaus vereint. Wie selbstverständlich hatten die Lieferanten den hochwertigsten der drei Särge mittig plaziert. Ein nach amerikanischem Vorbild angefertigtes Luxusmodell aus hochglänzendem Pinienholz mit reichverzierten Twaylenbeschlägen, die erst auf den zweiten Blick erkennen ließen, dass es sich nicht um pures Gold handelte. Gegen diese aufwendige schokobraune Residenz für die Ewigkeit nahmen sich die beiden Mahagonitruhen beinahe blass aus, obwohl diese preislich nicht zu verachten waren. Das ließ kaum Zweifel darüber aufkommen, wer von den dreien zu Lebzeiten das Sagen gehabt hatte, und überhaupt keinen darüber, dass diese Münder nun auf ewig verschlossen waren. Schließlich würde Zoe sie eigenhändig zunähen.
»Mein lieber Scholli, was für eine protzige Kiste! So was wie der Lamborghini unter den Särgen, was?«
Der Lieferant war neben ihr aufgetaucht und stopfte beide Hände in die Taschen seines Blaumanns, während er Zoe auffordernd zunickte.
»Könnte man so sagen.« Sie schob die Lieferscheine zu einem Stapel zusammen.
Der Mann lag gar nicht einmal so daneben mit seinem Eindruck. Tatsächlich wählten Angehörige einen Sarg nicht selten nach dem zuletzt gefahrenen Auto aus – oder dem, welches der Verstorbene gern gefahren hätte. Oberklasse für die Fahrt ins Jenseits.
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