Die Totenmaske
Zumindest was die Herren betraf. Bei Frauen wurde es mitunter blumig bis kitschig. Schlimmstenfalls wurde die Verblichene in einem gläsernen Sarg wie Schneewittchen aufgebahrt. Oder wie der Papst. Jedem das Seine. Zoe war es gleich, und ihre Mutter verkaufte gewinnbringend.
»Ein Jammer um das schöne Material!«, sinnierte der Lieferant vor sich hin. »Werden die Dinger eigentlich noch mal benutzt?«
»Nein, die Särge werden verbrannt oder begraben, je nach Wunsch der Angehörigen.« Zoe hielt dem Mann die Papiere hin und musterte ihn verwundert. Er musste neu sein, sonst hätte er keine so seltsame Frage gestellt.
»Was für eine Verschwendung«, erwiderte er kopfschüttelnd. Damit kritisierte er Zoes Berufsethos, was ihr eine Erwiderung wert war.
»Das ist so vom Gesetzgeber vorgeschrieben und aus hygienischen Gründen notwendig. Es treten immer Körperflüssigkeiten aus, egal, wie fachmännisch eine Leiche versorgt wurde.«
Der Lieferant starrte sie an und schluckte. »Ach so … na dann …« Er schnappte sich die Papiere und stapfte in Richtung Hintereingang davon. »Bis zum nächsten Mal!«
Kopfschüttelnd blickte Zoe dem Mann hinterher. Das hatte ihm schon als Antwort gereicht. Schade. Dabei war sie gerade erst in Stimmung gekommen und hätte ihm gern genauer erklärt, warum Särge nur ein Mal benutzt werden durften. Doch es verhielt sich wie mit den Fragen nach dem Befinden, auf die man immer mit Gut antwortete, weil es in der Regel nicht wirklich interessierte, wie man sich tatsächlich fühlte. So verliefen auch die Gespräche über ihren Beruf, wenn sie denn überhaupt aufkamen. Kurzes Interesse, gefolgt von deutlichem Unbehagen, sobald Zoe zu näheren Erklärungen ansetzte. Den Tod zu tabuisieren war schlicht ignorant. Wie konnten sich die Menschen dem verschließen, was sie alle irgendwann ereilen würde? Außerdem war es das einzige Thema, über das sie sich gern unterhielt.
»Den haben Sie aber ganz schön verschreckt. Nicht alle Berufe eignen sich für belanglose Plaudereien.« Die Stimme drang aus dem Verkaufsbereich zu ihr herüber.
Mit einem missmutigen Seufzen wandte Zoe sich um. Sie hatte vergessen, die Ladentür abzuschließen. Jetzt musste sie sich mit einem Vertreter herumschlagen. Um einen Kunden dürfte es sich kaum handeln, diese warteten für gewöhnlich im Laden. Der junge Mann hingegen hielt offenbar nicht viel von Höflichkeit, sondern spazierte zielsicher auf sie zu. Ein bisschen ähnelte er dem Typ, den sie gestern auf der Landstraße beim Rennen abgezogen hatte. Seine saloppe Aufmachung in Jeans sowie einer Kombination aus T-Shirt und kariertem Hemd war eher untypisch für einen Handelsvertreter. Doch davon ließ Zoe sich nicht beirren. Sie hatte schon allen möglichen skurrilen Verkaufsgenies die Tür gewiesen. Mit seinem flotten Spruch zur Einleitung in ein Verkaufsgespräch würde er bei ihr keinen Erfolg haben. Bestenfalls ließ sie sich gar nicht erst auf ein Gespräch ein, sonst fand sie sich in null Komma nichts mitten in einer zeitraubenden Werbemaßnahme wieder. Erfahrungsgemäß waren Vertreter kaum zu stoppen, wenn sie einmal losgelegt hatten.
»Wir haben feste Vertragspartner, also sparen Sie sich die Mühe«, setzte Zoe bemüht freundlich an, merkte aber, dass ihr Tonfall grenzwertig genervt klang. Als sie näher kam, wurde sie jedoch stutzig. Er hatte noch weniger mit einem Vertreter gemein, als sie gedacht hatte. Sein Lächeln wirkte nicht aufgesetzt, sondern aufrichtig belustigt. Er trug auch keinen Aktenkoffer bei sich, sondern nur einen Schlüsselbund, den er in einer Hand jonglierte. Seine blauen Augen blitzten überrascht auf, als Zoe vor ihm stehen blieb. Diese Reaktion war ihr wohl vertraut, auch wenn dieser Blick durchaus etwas Besonderes aufwies.
»Keine Sorge, ich bin älter, als ich aussehe, und brauche weder meine Mutter noch meinen Vater zu holen, um geschäftliche Dinge zu regeln.«
Der Mann lachte auf, zeigte eine ebenmäßige Zahnreihe inklusive zweier Grübchen auf den Wangen. Er konnte nicht viel älter sein als Zoe. Jede Wette. Vielleicht hatte sie sich doch getäuscht, und der Vertreter entpuppte sich als entfernter Verwandter einer der drei Leichen in ihrem Keller. Allerdings wirkte er für einen Trauernden etwas zu heiter.
»Ich habe nicht vor, Ihnen etwas zu verkaufen.« Er griff in seine Hosentasche und zog einen aufklappbaren Ausweis hervor, den er Zoe präsentierte. »Leonhard Strater, Sonderdezernat Kripo Mainz.«
Mit
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