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Die Totenmaske

Die Totenmaske

Titel: Die Totenmaske Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Henke
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er, nachdem sie wieder allein waren.
    »Ja klar.« Zoe rutschte auf ihrem Stuhl herum.
    Er schob ihr den Obduktionsbericht hinüber. Erleichtert darüber, sich mit etwas Sinnvollem beschäftigen zu können, griff sie danach und begann, zu lesen. Bereits die Einleitung weckte ihre Begeisterung. Einen ausführlichen Obduktionsbericht hatte sie noch nie vor sich gehabt. Sie kannte von ihren Pathologiekursen nur das Lehrmaterial mit Autopsie-Fallbeispielen. Ein realer Sachverhalt war etwas völlig anderes. Ihre Umgebung nahm sie kaum noch wahr. Sie nickte beiläufig, ohne aufzublicken, als die Kellnerin den Kaffee brachte.
    Gemeinsam gingen sie die verschiedenen Untersuchungsergebnisse durch. Strater zog seinen Stuhl neben Zoe, damit sie den Bericht nicht immer über den Tisch schieben mussten. Immer wieder stieß dabei ihr Bein gegen das seine, wenn sie sich beide über den Text beugten. Normalerweise waren Zoe solche zufälligen Berührungen unangenehm. Je länger sie beide dort saßen, desto mehr wurde sie sich seiner Nähe bewusst. Es musste an ihrer nachlassenden Konzentration liegen, dass sie sich aufführte wie ein Teenager. Um sich zur Ordnung zu rufen, lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück, was gleichzeitig ihrem verspannten Rücken guttat. Ihre Augen tränten ein wenig vom Lesen. Sie rieb beiläufig mit dem Finger über ihre Augenwinkel. Im Gegensatz zu den Abenden, an denen sie als Loretta unterwegs war, trug sie tagsüber nie Make-up.
    Sie betrachtete die feinporige Haut an Straters Wange, die neu sprießenden Barthaare. Bestimmt fühlte es sich stoppelig an, wenn man mit dem Finger darüberstreichen würde. Sie mochte seine gerade Nase. Herrje, sie litt definitiv unter Sauerstoffmangel!
    »Neben den Proben, die Sie entnommen hatten, bat ich darum, die Leberwerte genauer zu analysieren. Außer der deutlichen Leberverfettung fanden sich im Blut der drei, abgesehen von ein paar nicht klassifizierbaren Rückständen, auch solche von Alkohol, Marihuana und …«, er tippte auf die entsprechende Zeile im Protokoll, »… was sich vom üblichen Programm bei Verdacht auf Drogenkonsum unterscheidet, Atropin.«
    Zoes Verstand verließ auf der Stelle den Ruhemodus und fing an, auf Hochtouren zu arbeiten. Straters bedeutungsvollen Blick nahm sie nur vage wahr, obwohl sie ihm direkt ins Gesicht blickte.
    »Natürlich … Leberverfettung deutet häufig auf Alkoholmissbrauch oder Toxine hin. Atropin, ein giftiges Tropan-Alkaloid. Es handelt sich um ein Racemat, eine Traubensäure. Eine Eins-zu-eins-Mischung aus den Isomeren (R)- und (S)-Hyoscyamin, das bei der Isolierung …«
    Scherzhaft abwehrend hob der Kommissar beide Hände. »Hey, hey, immer schön langsam! So sehr brauchen wir nicht ins Detail zu gehen.« Er pfiff leise zwischen den Zähnen und musterte Zoe mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. »Was sind Sie, Fremde? Ein wandelndes Lexikon?«
    Es tat gut, mit ihm zu lachen. »Sorry, das ist mir einfach herausgerutscht.« Sie beugte sich wieder über den Text. »Okay, wir haben es mit einem pflanzlichen Giftstoff zu tun, der in verschiedenen Nachtschattengewächsen vorkommt. Außer Tabakpflanzen gibt es davon allerdings jede Menge in dieser Gegend: Stechapfel, Bilsenkraut, Engelstrompete oder Tollkirsche, um nur einige zu nennen.«
    »Wenn mich nicht alles täuscht, blühen ein paar davon in den Vorgärten.« Straters Worte klangen gedehnt, während er sie abwartend ansah.
    Eine kaum wahrnehmbare Veränderung senkte sich wie ein Nebelschleier zwischen ihnen hinab, trübte die vorangegangene Unbeschwertheit. Er schien auf etwas hinauszuwollen, und Zoe fragte sich, warum er nicht einfach mit dem herausrückte, was ihm auf der Zunge lag. Vielleicht war das irgendeine Polizisten-Masche, und er konnte nicht anders. Aber sie saß hier nicht in einem Verhör, sondern führte ein Gespräch mit ihm, bei dem ihre fachliche Meinung gefragt war. Oder war ihr etwas entgangen? Verwirrt forschte Zoe in seinem Gesicht.
    »Sie meinen, die könnten getrocknete Nachtschattengewächse geraucht haben, um sich zu berauschen?«
    Der Kommissar zuckte mit den Achseln. »Bisher hatte ich eher mit den illegalen Drogen im Milieu zu tun. Zwar sind mir verschiedene Pflanzenarten bekannt, die derart zweckentfremdet werden, doch was die Gruppe der Nachtschattengewächse betrifft, musste ich erst einmal nachschlagen. Ziemlich gefährliches Zeug, führt zu extremen Visionen und Halluzinationen. Besonders gefährlich ist der Konsum über einen

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